Erinnerungskultur, Zeitgeschichte, von Benedikt Neuwöhner, 06.01.11

„Wir wollen kein NS-Freilichtmuseum!“

Über das Leben an einem Tatort und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Die Wewelsburg heute. Während des Nationalsozialismus sollte sie zu einer zentralen SS-Versammlungs- und Ideologiestätte ausgebaut werden. Für die Umsetzung der weitreichenden Pläne mussten viele Menschen mit dem Leben bezahlten. (Foto: Martin Davies, Fotoarchiv Kreismuseum Wewelsburg)

2. April 1945: Einen Monat vor der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands marschieren Soldaten der 3. US-Armee in das kleine Dorf Wewelsburg im Kreis Paderborn ein. Schnell entdecken sie das Lager am Rande des Ortes. 1941 war es als Konzentrationslager von der SS eingerichtet worden. Ein Außenlager von Oranienburg. Die Gefangenen mussten an der Burg oder im Steinbruch arbeiten. Die Todesrate war hoch. Himmler wollte hier eine Art Fortbildungs- und Tagungsstätte errichten. Ein Ort, wo sich die SS sammeln konnte, was auch immer er darunter verstand. 1943 wurde das KZ aufgelöst, man nutzte es weiter als Lager für russische und polnische Zwangsarbeiter. Bis zum Kriegsende.

Für die Bewohner des kleinen Ortes beginnt mit dem Einmarsch der 3. US-Armee eine Zeit, die ihnen noch Lange im Gedächtnis bleiben soll. Kurze Zeit später entdecken die Soldaten in einem nahegelegenen Waldstück die Leichen von 15 unbekannten Personen. Sie wurden von der Gestapo oder SS-Leuten erschossen und anschließend hinter einem Schießstand im Wald verscharrt. Die US Militärverwaltung kommandiert am 4. Mai 1945 alle Wewelsburger zur Exhumierung, die von Männern aus dem Dorf vorgenommen werden muss. Der Bürgermeister hält eine Rede, in der er erklärt, warum sie bei der Prozedur anwesend sein sollen. Anschließend müssen alle Dorfbewohner an den offenen Särgen vorbeigehen.

„Man wollte der Dorfgemeinschaft den Terror der SS vor Augen führen“ sagt der Leiter des Wewelsburger Kreismuseums Wulff E. Brebeck. Die direkte Konfrontation habe jedoch eher zu einem negativen Effekt geführt: „Die Dorfbewohner empfanden die ‚erzwungene’ Beerdigung als Strafe für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hatten. Sie sahen sich selbst als Opfer von ungerechten Anschuldigungen und verschlossen sich diesem Teil ihrer Vergangenheit.“ In der Dorfgemeinschaft blieb ein Gefühl von Scham und Bedrückung zurück.

In der frühen Nachkriegszeit gedachten die Deutschen vor allem ihrer eigenen Opfer. Auch in Wewelsburg, wo man ein Denkmal für die Opfer des Krieges errichtete. Ganz in der Nähe des Ortes befindet sich ein Soldatenfriedhof, der 1953 unter großer Anteilnahme angelegt wurde. In der Burg richtete man ein Heimatmuseum ein. Es dokumentiert unter anderem die Vertreibung der Ostdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. An die ca. 1300 Toten des Konzentrationslagers erinnerte lange Zeit nichts. Die Ausgegrenzten des NS-Regimes wurden in der Erinnerung der Wewelsburger ebenfalls ausgegrenzt.

Einer dieser Ausgegrenzten ist Otto Preuss. Vom Oktober 1941 bis April 1943 war er als Häftling im Lager interniert. In den 1970er Jahren kehrte er an den Ort seiner Gefangenschaft zurück. Nichts erinnerte hier an die dunkle Vergangenheit. Keine Lagerbaracken, kein Stacheldrahtzaun, keine Gedenkstätte, kein Mahnmahl. Er erkundigte sich nach dem Verbleib des ehemaligen Konzentrationslagers: „Da hat man mir gesagt, das hätte es hier nie gegeben“ erinnerte sich Preuss 1996 im Rahmen einer Dokumentation über die Vergangenheit von Wewelsburg.

1975 ging die Wewelsburg an den Kreis Paderborn über, wodurch sie von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. „Fast typisch für diese Zeit geriet die Wewelsburg in das Zentrum linker Faschismuskritik“, berichtet Museumsleiter Wulff E. Brebeck. Die von der SPD geforderte Errichtung eines Mahnmals wurde zwar abgelehnt, jedoch beschloss der Paderborner Kreistag 1977 eine dauerhafte Ausstellung über die Verbrechen der SS in der Wewelsburg einzurichten.

Die Dorfbewohner reagierten ablehnend. Abermals fühlten sie sich zu einer Konfrontation mit der NS-Vergangenheit gezwungen. Die Bedrückung und das Gefühl der Schuld drohten wieder aufzuleben. Das Bild des ländlich - idyllischen Dorfes schien in Gefahr. Man befürchtete, dass Touristen durch die SS-Vergangenheit abgeschreckt werden könnten. So riefen die Dorfbewohner eine Bürgerinitiative gegen ein „NS – Freilichtmuseum“, wie sie es nannten, ins Leben. Auch die Errichtung eines dauerhaften Mahnmals auf dem ehemaligen Appellplatz des KZ’s lehnten sie ab. Die aus Paderborn entsandten Wissenschaftler wurden argwöhnisch beobachtet. Brebeck spricht hier aus Erfahrung: „Ich wurde einmal von einem Wewelsburger als Fremder bezeichnet, der nur hierher gekommen sei, um den Leuten zu sagen wie sie mit ihrer Vergangenheit umzugehen haben.“

Mit der Zeit näherten sich Dorfbewohner und Museumsmitarbeiter jedoch einander an. Es kam zu gemeinsamen Diskussionsrunden im Burgsaal, die Brebeck als „konstruktive Streitgespräche, die zu mehr Akzeptanz für die Arbeit der Historiker führten.“

1992 erlebten die Wewelsburger eine letzte „Konfrontation“ mit der Vergangenheit. Auf die Einladung des Burgmuseums kehrten erstmals einige Überlebende des Konzentrationslagers an den Ort des Leidens zurück. Im Burgsaal berichteten sie von ihren Erfahrungen und tauschten sich in persönlichen Gesprächen mit den Dorfbewohnern aus. Durch die direkte Begegnung verschwand die Anonymität der Opfer und eine gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit wurde möglich. So entwickelte sich ein fruchtbarer Dialog zwischen Dorfgemeinschaft und Überlebenden. Junge Wewelsburger gründeten eine Arbeitsgemeinschaft und setzten sich mit den Berichten der Zeitzeugen auseinander. „Mit der Einweihung des Mahnmals auf dem ehemaligen Appellplatz im Jahre 2000 und den jährlichen Gedenkfeiern zum Befreiungstag des KZ’s ist der Streit mit den Wewelsburgern um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu einem guten Ende gekommen“ stellt Brebeck fest.

Otto Preuss indes machte seinen Frieden mit Wewelsburg. Bis zu seinem Tode im Jahr 2003 nahm er an Überlebendentreffen teil und versuchte, Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte mit seinen Zeitzeugenberichten zum Nachdenken anzuregen.

 

 

Die Wewelsburg heute. Während des Nationalsozialismus sollte sie zu einer zentralen SS-Versammlungs- und Ideologiestätte ausgebaut werden. Für die Umsetzung der weitreichenden Pläne mussten viele Menschen mit dem Leben bezahlten. (Foto: Martin Davies, Fotoarchiv Kreismuseum Wewelsburg)

Ab 1936 baute die SS die Wewelsburg zu ihrem ideologischen Zentrum aus. Heinrich Himmler (r.) mit NSDAP-Reichsorganisationsleiter Robert Ley (Mitte) und zwei Adjutanten im Almetal unterhalb der Wewelsburg, 1937. (Bild: Kreismuseum Wewelsburg)

Bauzeichnung des SS-Projekts für Wewelsburg von 1944. Die Pläne für die Burganlage sahen einen mehrere hundert Meter weiten Radius aus Gebäuden und Wällen vor. Mittelpunkt dieses Dreiviertelkreises sollte der Nordturm der Wewelsburg sein. (Bild: Kreismuseum Wewelsburg)

Die Aufnahme aus dem Jahr 1940 zeigt Häftlinge des KZ Niederhagen bei Zwangsarbeiten im Steinbruch unterhalb der Wewelsburg. Über 3.900 Menschen wurden zur Arbeit gezwungen. Mindestens 1.285 von ihnen fanden vor Ort infolge der Arbeits- und Haftbedingungen sowie Misshandlungen und Willkür durch die SS-Wachmannschaften den Tod. (Bild: Kreismuseum Wewelsburg)

Gedenkfeier am Mahnmal für die Opfer des KZ Niederhagen/ Wewelsburg, das nach langer Kontroverse im Jahr 2000 errichtet wurde. (Foto: Matthias Groppe, Fotoarchiv Kreismuseum Wewelsburg)

Leser-Kommentare

An dieser Stelle können Sie gern einen Kommentar hinterlassen. Bitte loggen Sie sich hierfür zunächst ein bzw. erstellen ein Benutzerkonto.

Keine Kommentare