Sowohl Einwohner als auch Touristen schätzen die Stadt Paderborn nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Sehenswürdigkeiten. Ein beliebter Anziehungspunkt ist auch die Paderborner Marktkirche im Zentrum der Altstadt. Ihre dreischiffige Emporenbasilika mit der imposanten Barockfassade weist einen mit prunkvollen Schnitzereien ausgestatteten Innenraum auf. Blickfang ist neben der vom Paderborner Bildhauer Heinrich Gröne geschaffenen Kanzel insbesondere der dreigeschossige Hochaltar. Mit fast 22 Metern Höhe und 12 Metern Breite zählt er zu den monumentalsten Barockaltären Deutschlands. Zahlreiche Besucher meinen, ein authentisches Zeugnis der Vergangenheit zu besichtigen. Doch ein Blick auf die Geschichte der Marktkirche wirft folgende Frage auf: Wie geschichtsträchtig sind Bau und Ausstattung wirklich?
Bei der ehemaligen Jesuitenkirche handelt es sich um eine Stiftung des Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg zu Ehren des hl. Franz Xaver als Dank für die Genesung von schwerer Krankheit. Am 13. August 1682 wurde der Grundstein gelegt. Der Bau nach Plänen des Jesuiten-Laienbruders Anton Hülse ergänzte mit der Einweihung 1692 das Ensemble aus Gymnasium Theodorianum und der Academia Theodoriana. Im Zweiten Weltkrieg wurde bei alliierten Luftangriffen am 17. März 1945 fast ganz Paderborn zerstört. Auch von der Marktkirche blieben lediglich die Grundmauern und einige wenige Ausstattungsstücke erhalten, darunter die kunstvoll gestaltete Kanzel. Der 1694 bis 1696 entstandene Hochaltar allerdings konnte nicht gerettet werden.
Bereits kurz nach dem Krieg, von 1948 bis 1960, baute man die Kirche in ihrer alten Form wieder auf. Die Chorwand, die vor der Zerstörung noch durch den Hochaltar geschmückt wurde, blieb jedoch leer. Ihr trister Anblick weckte schließlich vielfach den Wunsch nach einer Rekonstruktion des barocken Kunstwerkes. So versprach der Förderverein „Barockaltar der Marktkirche“ 1989, zusammen mit der Stadt Paderborn und dem Land NRW, umgerechnet insgesamt vier Millionen Euro für die Verwirklichung dieses Ziels aufzubringen. Die originalgetreue Nachbildung konnte schließlich am 18. Februar 2004 eingeweiht werden.Informationstafeln sollen die Besucher der Kirche seitdem darauf aufmerksam machen, dass es sich bei dem Altar lediglich um einen modernen Nachbau handelt. Dennoch wird er von vielen als Original betrachtet, ebenso wie die Kirche selbst. „Ich dachte, der Altar wäre wie die Kirche noch aus dem Mittelalter“, äußert sich ein Besucher überrascht.
Verständlich erscheint daher, dass Rekonstruktionen wie die der Marktkirche und des Hochaltars heutzutage von der Denkmalpflege kritisch betrachtet werden. So besteht neben der Gefahr einer Irreführung des Betrachters auch die, einen ganzen Abschnitt der Geschichte zugunsten einer künstlichen Vergangenheit zu „vertuschen“. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit den Zerstörungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges.Fragt man die Besucher der Marktkirche in Paderborn, so wird deutlich, wie schwierig sich der Spagat zwischen Rekonstruktion und Authentizität gestaltet. Eine Reisegruppe aus Lippstadt etwa kann die Position der Denkmalpflege durchaus nachvollziehen und fände es gut, wenn man Bilder und Schrifttafeln zur Dokumentation des Zustands vor dem Wiederaufbau aufstellen würde. Die Äußerung einer Teilnehmerin zeigt jedoch, dass sich einige durch die Masse an Informationen überfordert fühlen könnten: „Zu viel ist auch nicht gut. Irgendwann hört dann auch das Interesse auf.“
Es stellt sich also nicht nur die Frage, inwieweit eine archäologische Rekonstruktion zerstörter Gebäude ihrer aus der Geschichte erwachsenen Bedeutung gerecht werden kann. Die Herausforderung bei Fällen wie dem der Paderborner Marktkirche wird in Zukunft darüber hinaus sein, die Meinungen und Positionen von Denkmalpflege und Bevölkerung zu vereinen und dabei sowohl die Geschichte als auch den Wunsch nach einem geschlossenem Gesamtbild des Denkmals in Erwägung zu ziehen.
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