„Mein Mann kann so einen Befehl nicht gegeben haben!“ Diese Aussage erscheint einem doch sehr naiv, wenn man bedenkt, dass sie von einer Frau stammt, deren Mann in den höchsten Kreisen der SS tätig war. Sollen diese Frauen wirklich so arglos gewesen sein? Waren sie tatsächlich nicht über die Arbeit ihrer Männer informiert? Wie lebte es sich als Frau in dieser SS-Sippengemeinschaft, die Ariernachweise verlangte und die Frauen in ‚Bräute-Schulungskurse’ schickte? Vor allem aber, wie lebte es sich als Frau an der Seite eines Exekutoren, als Frau eines Mannes, der für die Massenvernichtungspolitik des Nationalsozialismus Verantwortung trug? Unter dem Titel „Die Frau an seiner Seite“ nähert sich eine szenische Lesung diesem, in der Geschichtsforschung doch sehr stiefmütterlich behandelten Thema auf sensible Weise.
Konzipiert wurde sie von den Berliner Schauspielerinnen Inga Dietrich, Joanna Gläsel und Sabine Werner im Auftrag der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz. Die literarische Grundlage bilden Texte „Am Abgrund“ von Gitta Sereny und „Eine Frau an seiner Seite“ von Gudrun Schwarz, in denen überwiegend Zitate der Ehefrauen von NS-Tätern zusammengestellt werden. Im Rahmen der Lesung werden diese Aussagen mit bewusst zurückgenommener Gestik präsentiert und durch Erinnerungen von Dienstmädchen, Häftlingsberichte oder Zeitungsartikel ergänzt.
Immer wieder zeigt sich dabei, dass die Frauen eine moralische Mitschuld abstritten: „Nein, ich wusste nichts, gar nichts!“ An anderer Stelle wird jedoch deutlich, dass sie durchaus über die Tätigkeiten ihrer Männer informiert waren: „Für mich war die unangenehmste Arbeit Franks Schuhe zu putzen, sie stanken nach Leichen.“ Dem Zuhörer wird durch die ausgewählten Textpassagen bewusst, wie die Taten der Männer durch die Interpretation der Frauen entschärft („sie töteten sie, weil ja Krieg war“) oder konsequent unterstützt wurden („alle Juden müssen vernichtet werden“).
So oder so bauten sich die Ehefrauen ein Leben auf, dass heute erschreckend einfach und alltäglich erscheint. Ein Leben an der Seite eines Massenmörders und oft auch am Ort des Schreckens selbst. Irene Mengele bezeichnete die Wochen, in denen sie ihren Mann in Auschwitz besuchte, als „idyllisch“, verbrachte ihre Tage mit dem Sammeln von Beeren und dem Kochen von Marmelade. Auch Hedwig Höß, die Frau von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, konstruierte sich eine vermeintlich heile Welt in ihrer Villa mit Blick auf das Krematorium. Sie pflegte die Blumen im Garten, die Kinder tobten im Planschbecken: „Meine Familie hat alles in Auschwitz, es geht ihr gut.“
Das Publikum verfolgt den Lebensweg „normaler“ Frauen, die ihre Männer auf recht gewöhnliche Weise kennenlernten (Lina Heydrich begegnet ihrem Mann beim Tanzen) und dann mit durchaus nachvollziehbaren Motiven – wie Liebe, Aufstiegsmöglichkeiten oder Geld – ihre Männer bei der „Karriere“ unterstützen. Ein „ganz normales“ Leben… Denn, so der Liedtext der musikalischen Untermalung der Lesung: „Ich bin verliebt, in einen Mann, den es kein zweites Mal gibt“. Es ist diese scheinbare Normalität, der Versuch der Frauen sich zu erklären („verdrängt… versucht das seelische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten“), aber auch ihre schiere Ignoranz („ich habe nicht die Kraft die Schrecken der Vergangenheit immer wieder durchzumachen“) was den Zuhörer in den Bann zieht und ihn doch gleichzeitig nachdenklich zurücklässt.
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