Denkmalpflege, Erinnerungskultur, Kultur Regional, Kultur überregional, von Nadine Hoffmann, 31.05.11

Stille Orte erzählen Vergangenheit

Der Friedhof als Denkmal

Die Grabstelle Rörig auf dem Paderborner Ostfriedhof weist sowohl kunsthistorische als auch ortsgeschichtliche Bedeutung auf.

Frage: Was verbinden sie mit dem Wort Denkmalpflege? Sicher denken sie sofort an Schlösser, Fachwerkhäuser oder vielleicht auch Parkanlagen. Und was ist mit Friedhöfen? Tatsächlich können auch einzelne Grabstätten aber auch ganze Friedhofsanlagen Denkmäler sein. Eingetragen in die jeweiligen Denkmallisten stellen sie nicht nur Orte des Gedenkens oder Monumente der Trauer dar, sondern sind gleichzeitig von kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. Als Quellen der Sepulkralkultur, also der Kultur des Todes, verraten sie viel über die Vergangenheit.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestattete man die Toten überwiegend auf ungestalteten, innerstädtischen Kirchhöfen. Dann vollzog sich jedoch ein Wandel hin zu Friedhöfen außerhalb der Stadt, die bewusst auch gartenkünstlerisch angelegt wurden. Sie fungierten nun nicht mehr nur als Ort der Beisetzung sondern als parkähnlicher, öffentlicher Garten, in dem man sich "durch die Natur trösten lassen konnte". Großartige Begräbnisse, prunkvolle Grabskulpturen und Friedhofsmonumente, die oft speziell nach Plänen bekannter Bildhauer und Architekten erarbeitet wurden, waren im 19. Jahrhundert Normalität. Auch die Friedhofsanlagen änderten sich. Zu den normalen Anlagen kamen Wald- und Parkfriedhöfe oder streng architektonisch angelegte Grabfelder. Friedhöfe wie Père Lachaise in Paris, der Wiener Zentralfriedhof oder der Friedhof Brookwood in London sind heute bekannte Beispiele "außergewöhnlicher" Friedhöfe. Im Laufe der Zeit avancierten sie zu Besucherattraktionen.

Doch man braucht nicht unbedingt in die weite Welt zu blicken. Auch in  Nordrhein-Westfalen sind seit dem in Kraft treten des "Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler" am 1. Juli 1980 zahlreiche Friedhöfe als Denkmäler anerkannt worden. "Baudenkmäler sind Denkmäler, die aus baulichen Anlagen oder Teilen baulicher Anlagen bestehen. Ebenso zu behandlen sind Garten-, Friedhofs- und Parkanlagen." Voraussetzung ist, das im Einzelfall "künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe" vorliegen. Erst dann können ganze Friedhofsanlagen, aber auch einzelne Gräber, Grabmale und Bauten als Stätten, an denen Kultur-, Geistes-, Sozial- und/oder Freiraumgeschichte erfahrbar wird, unter Schutz gestellt werden.

Dazu gehören nicht nur die großen und bekannten Friedhöfe wie der aufgrund seiner historischen Gesamtanlage denkmalgeschützte Düsseldorfer Südfriedhof oder der Melatenfriedhof in Köln. Auch in kleineren Städten finden sich Friedhöfe oder einzelne Grabanlagen, die als schützenswert eingestuft wurden. Alleine in Paderborn sind es mehr als sechs. Wegen seinem "kultur- und kunsthistorischem Rang" ist der Jüdische Friedhof 1983 in die Denkmalliste der Stadt eingetragen worden. Aus "wissenschaftlichen Gründen" und wegen der "Bedeutung der jüngeren Geschichte" steht der sogenannte Ausländerfriedhof in Schloß Neuhaus unter Schutz. 1914 angelegt, diente er zunächst für die Bestattung von verstorbenen Kriegsgefangenen. Heute ruhen hier insgesamt 660 russische Kriegsgefangene aus dem Ersten- sowie Zwangsarbeiter aus dem Zweiten Weltkrieg. Er ist letzte Ruhestätte aller ausländischen Zwangsarbeiter aus dem Regierungsbezirk Detmold, unter ihnen Polen, Ungarn, Belgier und Franzosen.

Aber auch einzelne Grabstätten finden sich in der Liste des Denkmäler. Auf dem Ostfriedhof wurden 28 Objekte aus kunsthistorischen ortsgeschichtlichen und/oder regionalgeschichtlicher Gründen aufgenommen. Eine davon ist die Grabstätte Dr. Rörig, die sowohl eine kunsthistorische als auch ortsgeschichtliche Bedeutung aufweist und als "Bedeutendste am Ort" gelten kann. Röring war einer der bekanntesten Paderborner Ärzte. Als Pionier in der Rötengenforschung wurde er in die entsprechende Ehrentafel der Universität Hamburg aufgenommen. Bei seinem Grab handelt es sich um eine "neoklassizistische und historische" Stätte mit "ungewöhnlich großer stehender Wand", über der Schrifttafel sind in eingeschlossenem Bogen Szenen aus dem Leben des hl. Antonius von Padua abgebildet. Die Grabstätte ist eine von drei Gräbern in Paderborn mit einer Umgitterung aus Eisen, ein sogenanntes Gittergrab.  Die persönliche Bedeutung der hier bestatteten Person für Paderborn zeigt sich bei der sogenannten "Entgitterung" 1938: "Proteste der Bevölkerung verhinderten die Entfernung der Gitter am Grab des hoch geschätzten Arztes."

Neben diesen wenigen Beispielen hält Paderborn noch eine Vielzahl von Denkmälern aus dem Bereich der Sepulkralkultur bereit. Friedhöfe stellen das "kulturelle und gesellschaftliche Gedächtnis für Generationen" dar und sind gleichzeitig ein kulturlandschaftlicher Schatz, den es noch immer zu entdecken gibt. Es lohnt sich also, mit dem Begriff Denkmal auch die Friedhöfe in Verbindung zu bringen. Denn, wie es in einer Publikation des Landesdenkmalamt Berlin heißt "Unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte" - und die gilt es zu bewahren.

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