Immaterielles Kulturerbe, Denkmalpflege, Kultur überregional, von Nadja Bartsch, 07.06.11

„Wir haben so viele davon…“

Über den Umgang mit antiken Stätten in der Türkei

Naiv anmutende Maßnahme zum Schutz des Apollontempels in Didyma. (Foto: Nadja Bartsch)

Schließt man einen Moment die Augen und denkt an die Türkei, so ziehen mit Sicherheit Bilder von weißen Hotelstränden, von wimmelnden Basaren und vom tiefblauen Meer vor dem geistigen Auge entlang. Aber vielleicht auch antike Ruinen wie etwa Troja, Pergamon oder Ephesos, die Spuren der Vergangenheit in diesem Land. Jedes Jahr beeindrucken solche archäologischen Stätten tausende von Touristen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie lange sich die Besucher noch an diesem faszinierenden kulturellen Erbe erfreuen können. Blickt man mit offenen Augen auf die Hinterlassenschaften der Griechen und Römer in der Türkei, so wird eines sehr schnell deutlich: Ihr Erhalt scheint nicht gerade ein großes Anliegen der Regierung zu sein.

Die sehr gut erhaltene Ruinenstadt Ephesos etwa, deren Wurzeln sogar bis in vorgriechische Zeit zurückreichen, bietet den Besuchern mit ihren mosaikgeschmückten Häusern, statuengesäumten Straßenzügen sowie der einzigartigen Fassade der Celsus-Bibliothek beeindruckende Einblicke in das Leben in einer antiken Metropole. Hier findet man Geschichte zum Anfassen, es gibt keine Parkwächter, Absperrungen fehlen weitestgehend, alles darf selbst entdeckt und erfahren werden. Eine Freiheit, die auf die Besucher sichtbar angenehm wirkt. Gedankenlos klettern viele auf der Jagd nach dem perfekten Touristenfoto auf Säulenstümpfe und Mauern oder lassen sich in zärtlicher Umarmung mit einer Statue ablichten  – ein Kavaliersdelikt, könnte man meinen.

In Bezug auf eine nachhaltige Konservierung der teils über 2000 Jahre alten Strukturen erscheint eine solche Vorgehensweise allerdings eher kontraproduktiv, denn bei einer jährlichen Besucherzahl von etwa zwei Millionen Menschen kann ein solches Verhalten schnell zerstörerische Ausmaße annehmen. Die häufig im ehemaligen Stadtbereich weidenden Ziegen dürften im Vergleich dazu eine wesentlich geringere Belastung darstellen. Doch auch sie verdeutlichen die Einstellung des Landes zu seinem kulturellen Erbe, die sich auch andernorts zeigt. Die einstige Thermalstadt Hierapolis etwa ist neben ihren heißen Quellen besonders für ihre weitläufige Nekropole bekannt. Heute sind die steinernen Sarkophage und hausförmigen Grabkammern der größten antiken Totenstadt Kleinasiens jedoch nicht mehr Orte des feierlichen Totengedenkens, sondern vor allem Abenteuerspielplatz für Groß und Klein. In Didyma bittet immerhin ein kleines Schild darum, nicht auf die Wände des majestätischen Apollontempels zu schreiben.

Es gibt jedoch auch positive Beispiele. In Ephesos ist der Bereich der sogenannten „Hanghäuser“ durch eine überspannende Stahl-Glas-Konstruktion vor Sonne, Regen und dem Zahn der Zeit geschützt. Besucher wandeln mittels eines Steges über die sehr gut erhaltenen Innenräume einstiger Prachtvillen. Diese Schutzmaßnahme ist jedoch kein Verdienst der türkischen Regierung. Stattdessen beweist Österreich, das in Ephesos auch forschend tätig ist,  hier Verantwortungsbewusstsein für die Erhaltung des Weltkulturerbes.

Auch das legendäre Troja bildet eine begrüßenswerte Ausnahme. Diese Stätte ist touristisch gut erschlossen, ein mit Informationstafeln gespickter Rundweg beleuchtet anschaulich die wortwörtlich vielschichtige Geschichte Trojas, lenkt gleichzeitig die Besuchermassen und schützt die einstige Handelsmetropole durch Seilzäune vor übermütigen oder unachtsamen Touristen. Besonders eindrucksvolle oder noch nicht komplett erschlossene Strukturen werden von Schutzdächern überspannt. Ohne diese Maßnahmen wäre allerdings von den ohnehin nur noch in niedrigen Fundamentresten erhaltenen Mauern wohl kaum noch etwas übrig.

Gerade die Fülle und Qualität archäologischer Relikte in der Türkei scheint den weit verbreiteten sorglosen Umgang mit dem kulturellen Erbe zu provozieren. Das sehen auch Einheimische Experten so. „Die Türken haben so viele archäologische Denkmäler, dass sie sich nicht darum sorgen“, bedauert etwa ein Professor der Istanbul Üniversitesi. Diese Aussage wird eindrucksvoll unterstrichen von den Regierungsplänen zum Bau des Ilisu-Staudamms, der einen wesentlichen Teil des türkischen Südostanatolien-Projekts darstellt. Das Wasserkraftwerk soll den Tigris kurz vor der Grenze zu Syrien und Irak im Südosten des Landes aufstauen. Der so entstandene Stausee würde eine Vielzahl historisch bedeutsamer Stätten unter sich begraben.

Es bleibt zu hoffen, dass ein Umdenken bei den noch gut erhaltenen Stätten nicht erst stattfindet, wenn diese sich einem ähnlichen Zustand nähern. Eine weitsichtigere Planung der Türkei in Bezug auf ihr kulturelles Erbe ist längst überfällig. Die Herausforderung für die türkische Kulturpolitik sollte in Zukunft vor allem darin bestehen, den Verfall ihrer Kulturgüter zu verhindern, damit auch nachfolgende Generationen die beeindruckenden Zeugnisse antiker Kultur mit eigenen Augen bestaunen können.

Naiv anmutende Maßnahme zum Schutz des Apollontempels in Didyma. (Foto: Nadja Bartsch)

Beeindruckt durch seine Größe und Lage – das Theater von Pergamon (Foto: Nadja Bartsch)

Die sehr gut erhaltene Stadt Ephesos mit der berühmten Celsus-Bibliothek wird jährlich von über zwei Millionen Touristen besucht. (Foto: Nadja Bartsch)

Selbst bei schlechtem Wetter wandeln hier viele Besucher über die antiken Straßen. (Foto: Nadja Bartsch)

Geschichte zum Anfassen, wie hier in Ephesos, findet man überall in der Türkei. (Foto: Nadja Bartsch)

Weidende Ziegen in den Ruinen von Ephesos verdeutlichen die Einstellung des Landes zu seinem kulturellen Erbe. (Foto: Nadja Bartsch)

Die Nekropole von Hierapolis beeindruckt besonders durch ihre hausförmigen Grabmäler. (Foto: Nadja Bartsch)

Hunderte steinerne Sarkophage in Hierapolis erinnern an eine längst vergangene Bestattungskultur. (Foto: Nadja Bartsch)

Herumliegende Säulenfragmente zeugen von Prienes einstiger Pracht, in der naturbelassenen Umgebung wirken sie fast surreal. (Foto: Nadja Bartsch)

Die „Hanghäuser“ von Ephesos sind durch einen Schutzbau bestmöglich vor dem weiteren Verfall gesichert. (Foto: Nadja Bartsch)

Ein Rundweg leitet Besucher durch die sagenumwobene Stadt Troja. (Foto: Nadja Bartsch)

Die noch erhaltenen Strukturen in Troja werden durch Seilzäune von den Besucherwegen abgegrenzt. Im Hintergrund wird ein besonderer Befund von einem Schutzdach überspannt. (Foto: Nadja Bartsch)

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