Immaterielles Kulturerbe, Gegenwartskultur, von Ramona Bechauf, von Victoria Evers, 20.06.11

Von Sängern und Slamern

Verbindungen zwischen Poetry Slam und Minnesag

Ohne Kutsche kein Auto. Ohne Morsen kein Telefon. Aber ohne Minnesang kein Poetry Slam? Vielleicht. Der Poetry Slam ist eine aufstrebende Kultur, die von Sprache und Performance lebt und die – zumindest in Ansätzen, ihren Ursprung in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung und im Minnesang hat. Ein Phänomen, das immer wieder als moderner Dichterwettstreit bezeichnet wird. Hieraus ergibt sich schnell die Frage: Finden sich ähnliche Formen solcher Literaturpräsentationen bereits im Mittelalter? Könnte der Wartburgkrieg als erster Slam gelten? Zwar ist dieser Sängerwettstreit fiktiv, doch scheinen historische Ereignisse solcher Veranstaltungen denkbar. Auch der Minnesang, die rein höfische Werbungsdichtung, ist zumindest in die Familie dieser literarischen Präsentationsform einzuordnen. Alle drei Formen, Minnesang, Spruchdichtung und Poetry Slam, weisen Ähnlichkeiten auf: Text, Präsentation, Vortragsstil, Bühnenfigur sowie die Interaktion mit dem Publikum machen die Literatur erst lebendig. Somit ist es nicht verwunderlich, dass auch heute nicht alle Slamtexte in schriftlicher Form vorliegen und im Mittelalter Texte zum Teil verloren gingen. Es handelt sich um eine Performancekunst, die keine Schriftlichkeit benötigt. Wer Slamkünstler wie Peh (Paula Gelbke) oder Andy Strauß nicht auf der Bühne gesehen hat, wird beim Lesen der Texte auf dem heimischen Sofa vielleicht keine Euphorieausbrüche erleben. Daraus lässt sich schließen, dass der mittelalterliche Rezipient ähnlich empfunden hat und uns mit dem Vortragenden ein Teil des Textes verloren gegangen ist.

Ein möglicher Unterschied zwischen mittelalterlicher und moderner Poetik stellt die erste goldene Regel des Poetry Slam dar: KEINE Fremdtexte! Zwar tragen mittelalterliche Texte teilweise Autorsignaturen, doch ist davon auszugehen, dass beim Publikum beliebte Texte, nach dem Tod des Autors, von anderen Sängern vorgetragen wurden. Hierbei kann man nicht von einer Verletzung des damaligen Copyrights sprechen, vielmehr ist so sichergestellt worden, dass zumindest ein Teil überliefert werden konnte.

Wer macht Literatur? Zunächst müssen Minnesänger von Spruchdichtern abgegrenzt werden. Der Minnesang stellt eine höfische Kulturform dar, während die Spruchdichtung Nachrichten, Klatsch und Tratsch sowie politische Neuigkeiten von Hof zu Hof trugen. „Die Spruchdichter waren Hofschranzen, die neben ihrem Können, das sich im Herrscherlob ausdrückte, auch von ihren guten Vernetzungen lebten.“ erklärte Dr. Katharina Philipowski, Vertretung einer Professur für Germanistische Mediävistik an der Universität Paderborn.

So sind sie, damals wie heute - immer unterwegs, immer in Bewegung, den Text im Gepäck, den Applaus im Ohr – fahrende Sänger, Poeten mit der Hoffnung auf Gerstensaft, gute Laune und ein Quartier für die Nacht. Bestenfalls ist es nicht nur das gesprochene, sondern auch das geschriebene Wort, das die nächste Reise sichert. Es sind beide, mittelalterliche wie moderne Poeten, die um Aufmerksamkeit und ein – im übertragenen Sinne – Stück Brot kämpfen. Eine Kultur, die manch einer brotlose Kunst nennen mag, die aber Lebensaufgabe und Selbstverwirklichung darstellt – die eben Beruf zur Berufung werden lässt. Damals wie heute.

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