Kultur Regional, von Heike Probst, 21.06.11

Eine ländliche Universität auf Zeit

Das Literatur- und Musikfest „Wege durch das Land“ bereitet intellektuelles Sommervergnügen in Ostwestfalen-Lippe.

Foto (Heike Probst): Raoul Schrott, Essayist, Autor und Literaturwissenschaftler, wandelt auf Verbindungspfaden zwischen Dichten und Denken.

Was bewegt cirka 600 Menschen dazu, sich über fast vier Stunden mit der Lesung von Literatur, einem literaturwissenschaftlichen Vortrag und klassischer Musik auseinanderzusetzen? Ganz ohne Werbepausen. Und mit nur einer, dafür aber wunderbaren Unterbrechung, in der man erlesene Leckereien und Getränke unter den Bäumen eines großen Parks in sommerlicher Atmosphäre zu sich nehmen und sich nicht nur intellektuell, sondern auch kulinarisch rundum glücklich fühlen kann. Das Literatur- und Musikfest „Wege durch das Land“ schafft genau das nun schon zum elften Mal, auch in diesem Jahr wirken die neunzehn Veranstaltungen dieser „ländlichen Universität auf Zeit“ als Publikumsmagnet.

Doch was genau bringt das Publikum dazu, sich Literatur und Musik auf diese Weise zu nähern? Brigitte Labs-Ehlert, künstlerische Leiterin von „Wege durch das Land“: „Ostwestfalen ist eine historische Kernlandschaft der deutschen Literaturgeschichte voller bedeutender geschichtlicher Spuren. Wir wollen diesen Reichtum behutsam sichtbar machen und respektvoll die vielen verborgenen Schätze ans Licht holen. Die historischen Orte sind nicht zur Kulisse reduziert, sondern sie stehen mit der Literatur, der Musik in direkter Verbindung. Die Frage, die wir uns stellen, ist, was sich dort ereignet hat, von welchen Schicksalen zu erzählen ist und wie die Landschaft mit ihrer Geschichte in die Literatur eingegangen ist, fortwährend Literatur schreibt und wer hier literarisch tätig war.“

Für viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen war OWL literarischer Schauplatz, Schreib- oder Aufbruchsort. Diese Zusammenhänge werden in den einzelnen Veranstaltungen des Literatur- und Musikfestes aufgedeckt, seh- und hörbar gemacht: Auf Gut Abbenburg etwa zeigt der Hausherr Baron von Haxthausen dem Publikum den steinernen Tisch, an dem Annette von Droste-Hülshoff heimlich schrieb. Susanne Lothar liest an Originalplätzen der Judenbuche aus diesem Werk der Droste. Bruno Ganz liest Hölderlin in Bad Driburg, das der Dichter im Herbst 1796 gemeinsam mit Susette Gontard besuchte. Rainer Maria Rilke wohnte im Sommer 1917 auf Gut Böckel, Peter Sloterdijk spricht dort am 2. Juli über Rilkes Vers „Du musst Dein Leben ändern“.

Aber auch heute inspiriert OWL Literaturschaffende aus aller Welt. Im Rahmen des Literatur- und Musikfestes entstanden und entstehen Auftragsarbeiten z.B. von Thomas Kling, Friederike Mayröcker, Peter Waterhouse oder Cees Nooteboom. „Viele der großen Dichter haben nach ihren Lesungen, wenn sie durch einen Park gingen, von der Geschichte eines Hauses hörten, wenn sie begeistert von den Ausblicken waren, ihre Eindrücke und Gedanken in einem Gedicht festgehalten. So erfährt diese aktive, lebendige Literaturlandschaft eine fortwährende Bereicherung und ihr selbst wird durch das Sprechen und Schreiben über sie etwas hinzugefügt“, sagt Brigitte Labs-Ehlert.

Informationen zur Veranstaltung finden Sie unter www.wege-durch-das-land.de

Foto (Heike Probst): Raoul Schrott, Essayist, Autor und Literaturwissenschaftler, wandelt auf Verbindungspfaden zwischen Dichten und Denken.

Foto (Heike Probst): Der Sprecher Christian Brückner, der Robert de Niro, Harvey Keitel, Marlon Brando und Robert Redford seine Stimme lieh, liest aus Julien Gracqs „Der große Weg. Tagebuch eines Wanderers“.

Foto (Heike Probst): Europa Galante spielt unter der Leitung von Fabio Biondi barocke Meisterwerke.

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