Materielles Kulturerbe, Denkmalpflege, von Moritz Schäfer, 27.06.11

Schlüsselbau der Moderne steht in der niedersächsischen Provinz

35. Tagung des UNESCO-Welterbekomitees entscheidet über Listenneulinge

Baukunst von 1911: Das Hauptgebäude der Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld. Seit dem 25. Juni steht die Schuhleistenfabrik auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. (Foto: Wiki Commons, Mike Reiss)

Fünf deutsche Buchenwälder und eine Schuhleistenfabrik in Niedersachsen sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Am Samstagabend stimmte das entsprechende Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur zwei von insgesamt vier deutschen Anträgen zu. Heute soll die Entscheidung darüber fallen, ob auch die letzten beiden Welterbekandidaten in die Liste aufgenommen werden.

Die Fabrikanlage des Fagus-Werks im niedersächsischen Alfeld gilt als Ursprungswerk moderner Industriearchitektur. Es war der erste große Bau des jungen Architekten Walter Gropius, dem späteren Stararchitekten des Bauhauses. Im Jahr 1911 beauftragte der Industrielle Carl Benscheidt den damals noch nicht einmal 30-jährigen Gropius und seinen Mitarbeiter Adolf Meyer mit dem Bau seiner neuen Schuhleisten-Fabrik in Alfeld. Benscheidt bewies durch sein Vertrauen in Gropius’ moderne Auffassung von Architektur ein gutes Gespür, denn die Fabrik stellt rückblickend das Manifest der "Neuen Sachlichkeit" dar. Noch heute werden hier Schuhleisten hergestellt.

Mit der Konstruktion aus Glas und Stahl und den stützenlosen, vollständig verglasten Ecken, die zum Markenzeichen des Neuen Bauens wurden, verlieh Gropius dem dreistöckigen Fassadengebäude seine schwerelose Eleganz, die damals für Fabriken außergewöhnlich war. Das Fagus-Werk veranschaulicht die revolutionierenden Ideen von Gropius. Er prägte mit seinem Erstlingswerk eine neue Stilrichtung und ebnete damit der Architektur der Moderne den Weg. „Mit der Konstruktion aus Glas und Stahl und den stützenlosen, vollständig verglasten Ecken, die zum Markenzeichen des Neuen Bauens wurden, verlieh Gropius dem dreistöckigen Fassadengebäude seine schwerelose Eleganz, die damals für Fabriken außergewöhnlich war“, lobt die deutsche UNESCO Kommission den Bau.

Über die Aufnahme der Buchenwälder in die UNESCO-Liste wurde am Samstag in mehreren Bundesländern gefeiert. Der Antrag der Bundesregierung umfasste den Grumsiner Forst in Brandenburg, den Nationalpark Kellerwald-Edersee in Hessen, den Nationalpark Jasmund und den Müritz-Nationalpark in Mecklenburg-Vorpommern sowie den Nationalpark Hainich in Thüringen. Sie repräsentieren die wertvollsten verbliebenen Reste großflächiger naturnaher Buchenbestände in Deutschland.

„Heute ist ein großer Tag für den Naturschutz in Deutschland“, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen zur Entscheidung der UNESCO. „Unsere Buchenwälder stehen nun auf einer Stufe mit weltweit so bedeutenden Stätten wie dem Yellowstone Nationalpark, den Galapagos Inseln oder dem Wattenmeer. Das ist ein großer Erfolg unserer Bemühungen für den Schutz der Buchenwälder in Deutschland, die die natürliche Vegetation unseres Landes prägen.“

Das Komitee befürwortete die Aufnahme der deutschen Buchenwaldgebiete als serielle Erweiterung der 2007 in die Welterbeliste aufgenommenen Buchenurwälder in den Karpaten. Dazu zählen zehn Gebiete in der Slowakei und der Ukraine, die in montanen und subalpinen Höhnenlagen von bis zu 1.940 Metern liegen. Reste naturnaher Tiefland-Buchenwälder gibt es weltweit nur noch in Deutschland. Das Erscheinungsbild Europas ist von Natur aus durch seine Buchenwälder geprägt. Vor 6500 Jahren bedeckten Buchenwälder 40 Prozent des europäischen Gebiets.

Das UNESCO-Welterbekomitee tagt bis zum 29. Juni in Paris. Experten aus 21 Ländern prüfen auf einer jährlichen Tagung, welche von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Stätten neu in die Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt aufgenommen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Stätten die Kriterien der Welterbekonvention erfüllen. Wesentliche Kriterien sind der "außergewöhnliche universelle Wert", die "Authentizität" eines Kulturdenkmals und die "Integrität" einer Naturerbestätte. Außerdem muss ein überzeugender Managementplan die zukünftige Erhaltung sicherstellen. In diesem Jahr liegen dem Komitee insgesamt 37 Nominierungsanträge vor, vier davon kommen aus Deutschland.

Über die letzten beiden deutschen Anträge soll am heutigen Montag abgestimmt werden. Neben 24 Pfahlbauten rund um die Alpen stehen zwei 1927 entstandene Wohnhäuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung, die zum architektonischen und städtebaulichen Werk des französischen Architekten Le Corbusier zählen, auf der Kandidatenliste.

Baukunst von 1911: Das Hauptgebäude der Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld. Seit dem 25. Juni steht die Schuhleistenfabrik auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. (Foto: Wiki Commons, Mike Reiss)

Der Architekt des modernen Schlüsselbaus in Alfeld, Walter Gropius - hier eine Aufnahme aus dem JAhr 1919. Der Stararchitekt des Bauhauses gilt heute neben Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier als Mitbegründer der modernen Architektur. (Foto: Wiki Commons)

Der eingang zum Nationalpark Hainich im thüringischen Lauterbach. Auch er wurde, neben vier weiteren Naturerbestätten aus Deutschland, im Juni 2011 auf der Welterbeliste der UNESCO verzeichnet. (Foto: Wiki Commons, Uwe Glaubach)

Grund für die Titelvergabe an die insgesamt fünf deutschen Waldgebiete war ihr Umfangreiche Buchenbestand. (Foto: Wiki Commons, Fritz Geller-Grimm)

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