Zeitgeschichte, Gegenwartskultur, Erinnerungskultur, von Simon Bernard, von Moritz Schäfer, 26.07.11

„Es gibt noch immer braune Altlasten!“

Historiker schaut auf die Wege des Erinnerns

Privatdozent Dr. Rainer Pöppinghege mit einem Pariser Stadtplan von 1789. Nach der Französi¬schen Revolution begann man hier, Straßen und Plätzen politisch konnotierte Namen zu geben. (Foto: Moritz Schäfer)

Was sagen Straßennamen über das Geschichtsbewusstsein einer Gesellschaft aus? Ein Historiker an der Universität Paderborn forscht seit einigen Jahren zu diesem Thema. Dabei ist ihm aufgefallen, dass viele Straßen in NRW Namen tragen, die eine nationalsozialistische Vergangenheit haben.

„Straßennamen sind so etwas wie Denkmäler“, sagt Privatdozent Dr. Rainer Pöppinghege. „Wenn man eine Straße nach jemandem benennt, dann will man diese Person schließlich damit ehren.“ Vor allem im Hinblick auf die vorherrschende Geschichtspolitik zur Zeit ihrer Benennung seien Straßennamen aussagekräftige Quellen. „Sie verraten viel darüber, welche Ereignisse oder Personen man innerhalb eines bestimmten Zeitraumes als besonders würdig erachtet hat.“

Besonders interessiert den Dozenten für Neueste Geschichte dabei die Zeit des Nationalsozialismus. „Es ist ganz klar, dass zu dieser Zeit auch die Straßennamen für die Propaganda eingesetzt wurden.“ So seien Straßen etwa nach hochrangigen Parteifunktionären, aber oftmals auch nach Kriegshelden oder Schlachtstätten des Ersten Weltkrieges benannt worden.

Nach dem Untergang des Nationalsozialismus veranlasste der Alliierte Kontrollrat 1946 die Entnazifizierung der Straßennamen. Jeder Verweis auf die jüngere militärische Tradition Deutschlands, jede Erinnerung an die nationalsozialistische Partei sollte beseitigt werden. Offensichtliche nationalsozialistische Namen verschwanden nach dem Krieg schnell von den Straßenschildern. Doch es folgten neue Benennungen, die nach heutigen Erkenntnissen zweifelhaft erscheinen. „Viele dieser Straßen haben ihren Namen in der Nachkriegszeit erhalten“, sagt Pöppinghege. „Aber die Personen, nach denen sie benannt sind, haben in der NS-Zeit gewirkt.“

So sei etwa der NS-Sportfunktionär Carl Diem auf vielen Schildern präsent. Auch Agnes Miegel sei in Westfalen flächendeckend vertreten. Die Heimatdichterin habe als Parteimitglied nicht nur eine befürwortende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen, sondern diese Haltung auch nach 1945 offensiv vertreten.

Zunehmend werden inzwischen Stimmen laut, die auf den Hintergrund der Namensgeber hinweisen und eine Umbenennung der Straßen fordern. „Solche Diskussionen haben zurzeit Konjunktur“, sagt Pöppinghege. „Wenn eine Gemeinde anfängt, sich mit den Namen auseinanderzusetzen, folgen andere schnell nach.“

Das ist auch der Anlass für eine Tagung des LWL, die im Juli unter dem Titel „Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur“ stattfindet. Auch Pöppinghege wird daran teilnehmen. „Vertreter vieler westfälischer Kommunen werden dort sein. Es geht dabei um die Frage, wie man mit Leuten wie Miegel umzugehen hat. Wir versuchen Unterstützung zu geben und beraten darüber, wann eine Umbenennung angemessen ist.“

Das sei immer dann der Fall, wenn eine Person nicht mehr als ehrungswürdig gilt. „Es kommt gar nicht so sehr darauf an, ob jemand Demokrat war oder nicht. Es geht darum, ob sich die entsprechende Person moralisch integer verhalten hat.“ Sei dies nicht der Fall, sollte man ernsthaft Alternativen diskutieren. Dafür braucht es jedoch die Zustimmung der Bürger und die ist nicht immer gegeben. „Es sind meist nur Einzelne, die auf die Problematik hinweisen, aber keine Mehrheit hinter sich haben“, weiß Pöppinghege. „Das ist ein unbeliebtes Thema, und die Mehrheit der Bürger ist meist gegen eine Umbenennung.“

Leser-Kommentare

An dieser Stelle können Sie gern einen Kommentar hinterlassen. Bitte loggen Sie sich hierfür zunächst ein bzw. erstellen ein Benutzerkonto.

Keine Kommentare