Was ist Raum? Über diese Frage herrscht in den unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen eine rege Diskussion. Vor allem deshalb stand die diesjährige Regionalgeschichtstagung an der Universität Paderborn unter dem Titel „Die Landschaft in Westfalen“. Aus biologischer, kunsthistorischer, volkskundlicher, landesgeschichtlicher und filmwissenschaftlicher Sicht setzte man sich mit dem Begriff der Landschaft als Wahrnehmungs- und Schaffensraum des Menschen auseinander.
In diesem Zusammenhang verdeutlichte der Biologe Prof. Dr. Hansjörg Küster von der Universität Hannover, dass Landschaft immer vom Eindruck des Betrachters bestimmt werde. Der Blick auf eine ländliche Gegend etwa würde beim Betrachter schnell den Eindruck einer natürlichen Idylle hervorrufen. Bei genauerem Hinsehen jedoch entpuppt sich diese als natürlich wahrgenommene Landschaft schnell als Konstrukt menschlichen Handelns – etwa, wenn noch Spuren von Ackerbau oder der Nutzung als Weideland zu erkennen seien. Landschaft als Ganzes könne also nur erschlossen werden, wenn man Kenntnisse über ihre Geschichte habe.
Mit der Gestaltung von Landschaft setzte sich auch der Vortrag „Die ‚deutsche’ Landschaft“ von Prof. Dr. Stefan Schweizer (Universität Düsseldorf) auseinander. Er bezeichnete die Landschaft als „Raum kollektiver und individueller Memoria“ und damit als Teil menschlicher Identität. Um zu diesem „Gedächtnisraum“ werden zu können, müsse die Landschaft allerdings vom Menschen gestaltet werden. Diese Idee von der Landschaft als Gegenstand menschlicher Gestaltung veranschaulichte Schweizer anhand der patriotischen Gartenkunst des 18. und 19. Jahrhunderts. In diese Kategorie fällt auch die Errichtung von Nationaldenkmälern, wie etwa des Hermannsdenkmals bei Detmold.
Das Schlagwort der „Identitätsstiftung“ griff Prof. Dr. Eva-Maria Seng von der Universität Paderborn auf, die sich mit dem Begriff der „Kulturlandschaft“ auseinandersetzte. Seng veranschaulichte, dass das Konzept der Kulturlandschaft in Zeiten der Globalisierung besonders geeignet zu sein scheint, die eigene Umgebung wieder stärker in das Bewusstsein der Menschen treten zu lassen. Als Beispiel nannte Seng die Stadt Paderborn und den von ihr eingereichten Antrag zur Eintragung auf die Tentativliste des UNESCO-Welterbes. „Die Stadt hat sich mit ihrem Quellgebiet als ‚Urbane Wasserlandschaft Paderborn’ und nicht mehr mit Kulturdenkmälern wie Dom und Kaiserpfalzen beworben“, sagte Seng.
Die kulturelle Bedeutung des Raumes spielte auch im Vortrag von Dr. Wilfried Ehbrecht vom Institut für vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster eine besondere Rolle. Er ermöglichte den Teilnehmern der Tagung einen Einblick in die landesgeschichtliche Forschung zu „Raum“ und „Land“ Westfalen. Ehbrecht erklärte, dass etwa die Bezeichnung „OWL“ zwar im geographischen und politischen Sinne jeder historischen Bindung entbehre, sich aber trotzdem ein kulturelles Gemeinschaftsbewusstsein der „Westfalen“ entwickelt habe.
Dr. Jan Carstensen, Direktor des LWL-Freilichtmuseums in Detmold, stellte im Rahmen seines Vortrags „Der Torf und die Landschaft“ das romantisierte Bild der Moorlandschaften auf den Prüfstand. „Die Torfgewinnung hat das Bild vom Moor über Jahrhunderte stärker geprägt, als die romantischen Darstellungen des 19. Jahrhunderts es uns ahnen lassen“, so Carstensen, der einen umfangreichen Überblick über die wirtschaftliche Nutzung der Moorlandschaften gab.
Konkrete Sichtweisen auf eine Stadtlandschaft am Beispiel Paderborn standen im Fokus des abschließenden Beitrags des Filmwissenschaftlers Christian Hüls von der Universität Paderborn. Hüls präsentierte den Teilnehmern mit verschiedenen Schwarz-Weiß-Fotografien und einem Super 8-Film nicht nur seine persönliche Wahrnehmung der Stadt Paderborn. Die anschließende Diskussion machte deutlich, wie unterschiedlich ein und derselbe Ort von verschiedenen Menschen wahrgenommen werden kann.
Dementsprechend fiel auch das Resümee von Prof. Dr. Göttmann (Universität Paderborn) aus: „Ohne ihren Betrachter ist die Landschaft nichts.“
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