Die aktuelle deutsche Vorschlagsliste (Tentativliste) für das UNESCO-Weltkulturerbe wird voraussichtlich 2016 abgearbeitet sein. Aus diesem Grund hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die Fortschreibung dieser Liste für weitere potenzielle Welterbestätten der Bundesrepublik beschlossen. Jedes Bundesland kann hierfür zwei Vorschläge einreichen, die dann durch eine, vom Kulturausschuss der KMK beauftragten Expertengruppe evaluiert und das Ergebnis der KMK zu Beschlussfassung vorgelegt wird. Rheinland-Pfalz möchte die SchUM-Städte Mainz, Speyer und Worms mit ihrem jüdischen Kulturerbe vorschlagen.
Vor diesem Hintergrund fand am 23. und 24. November im Landesmuseum Mainz die von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) veranstaltete Tagung „Die SchUM-Gemeinden Speyer – Worms – Mainz auf dem Weg zum Welterbe“ statt. In Kooperation mit der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg sowie dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg diente die Tagung zur Vorbereitung des Vorhabens des Landes Rheinland-Pfalz die SchUM-Städte erst in die deutsche Tentativliste und dann in die UNESCO-Welterbeliste aufnehmen zu lassen.
Das aus dem hebräischen Namen zusammengesetzte Akronym „SchUM“ steht bereits seit dem Mittelalter für die Städte Speyer (Sch für Schpira), Worms (Waw (U) für Warmaisa) und Mainz (M für Magenza). Schon damals bildeten die drei Städte ein bedeutendes Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, das eine zentrale Bedeutung für die jüdischen Gemeinden in Zentraleuropa darstellte und als Geburtsstätte eines, von der deutschen Tradition geprägten Judentums (aschkenasischen Judentums) gilt. Mit den bedeutendsten Talmudschulen des mittelalterlichen Abendlandes galten die Städte als das „Jerusalem am Rhein“. Die noch heute vorhandenen materiellen Überreste, u.a. der Judenhof in Speyer mit der Mikwe, der Denkmalfriedhof in Mainz oder der jüdische Friedhof in Worms, der als der älteste erhaltene jüdische Friedhof in Europa gilt, sollen aufgrund ihres „außergewöhnlich universellen Wertes“ in die Welterbeliste aufgenommen werden. In diesem Kontext diskutierten internationale Experten aus unterschiedlichsten Disziplinen aktuelle Forschungsfragen und Ergebnisse, die die wissenschaftliche Grundlage und Begründung für einen späteren Antrag bilden. Der Fokus der zweitägigen Tagung lag dabei auf der Frage, wie sich die Geschichte und Kultur des aschkenasischen Judentums der SchUM-Gemeinden in Wechselbeziehung zu christlichen Umwelt gestaltete. Die Anfänge von Aschkenas und die christlich-jüdischen Interdependenzen wurden dabei ebenso beleuchtet wie die Sachüberlieferungen der einzelnen Städte. Nicht zuletzt wurde die Frage der Vermittlung des jüdischen Kulturerbes an den Fallbeispielen Wien und Erfurt näher erörtert, da Präsentation und Vermittlung ein wesentlicher Aspekt des Managementplanes für Welterbestätten darstellt.
Dass die jüdische Kultur einen nicht unbedeutenden Anteil an dem kulturellen Erbe Europas hat ist evident. Warum sich allerdings gerade an den Städten des Mittelrheins die Kultur des aschkenasischen Judentums trotz schwerer Bedienungen und wiederholter Verfolgung ausprägen konnte, war inhaltlicher Schwerpunkt des Vortrags von Prof. Johannes Heil (Hochschule für jüdische Studien Heidelberg). Er ging damit der sonst in der Forschung wenig beachteten Fragen des Warum und den Bedingungen für die Entstehung von Aschkenas vor etwa 1000 Jahren nach. Die in den Städten vorherrschende Autonomie in sakralrechtlichen Angelegenheiten förderte die Ansiedlung der Juden, ebenso wie die seit dem 11. Jahrhundert vorhandene kaiserliche Zollfreiheit und Schutzbriefe. Diese Voraussetzungen begründeten die Anfänge des rheinischen Judentums, dessen familiäre und kulturelle Verknüpfungen der drei Gemeinden eine eigene Kultur hervorbrachten. Eine Tatsache, die für die Antragstellung nicht unerheblich ist, zeigt sie doch die besondere Entstehungsgeschichte des von deutscher Tradition geprägten Judentums.
Sichtbare Zeichen dieser jüdischen Gemeinden sind deren Bauwerke, die sich heute dem besonderen Interesse der Kunstgeschichte und Denkmalpflege erfreuen. Für den Weltkulturerbeantrag spielen sie eine besondere Rolle, da sie herausragende Überreste des ehemals so bedeutenden Netzwerks der drei Gemeinden und deren Kultur darstellen.
Prof. Matthias Untermann zeigte anhand der jüdischen Bauwerke im christlichen Umfeld die christlich-jüdischen Interdependenzen der drei Gemeinden auf. Heute können die Außenansichten von Synagogen nur noch durch archäologische Rekonstruktionen sichtbar gemacht werden. Denn bei Bauten des jüdischen Kultes kam es immer zu einer demonstrativen Zerstörung anstelle einer Umnutzung, woraus Prof. Untermann folgert, dass die Christen des Mittelalters die Synagogen als Bauwerk des religiösen Herrschaftsanspruchs verstanden. Aber nur aus christlicher Sicht waren Synagogen sichtbare Zeichen eines Machtanspruches - aus jüdischer Sicht passten sich die Synagogen im deutschen Raum ins Stadtbild ein und wurden als Zeichen der Integration verstanden, nicht als Symbol der Abgrenzung. Ein Fazit, dass die außergewöhnlich Bedeutung der noch vorhanden, von Zerstörung verschonten materiellen Überreste hervorhebt und für die Antragstellung nicht unerheblich ist. Für die anschließende Auseinandersetzung mit den Sachüberlieferungen der Städte Worms, Speyer und Mainz und der Aufarbeitung der materiellen Überreste kann beispielhaft das Projekt der Dokumentation und Bearbeitung der Grabsteine auf dem Friedhof „Heiliger Sand“ in Worms genannt werden. Die ältesten Grabstelen stammen noch aus dem 11. Jahrhundert, der älteste Stein kann auf ungefähr 1076/77 datiert werden. Vorgestellt wurde das Projekt von Prof. Michael Brocke (Salomon Ludwig-Steinheim Institut für deutsch-jüdische Geschichte der Universität Essen), der sich mit der Entschlüsselung schwer lesbarer Inschriften beschäftigt, Tina Fuchs, die mit Gestaltung und Bearbeitung der Grabmale beauftragt ist sowie von Frau Dr. Susanne Krömker, die mit der kombinierten 3D-Datenaufbereitung von Schriftfeldern und Gelände des Friedhofs vertraut ist. Die Grabsteine des Wormser Friedhofs wurden vermessen, eine Gesamtbeschreibung angefertigt, die Inschriften auf die Einarbeitungsart und Schriftbild untersucht und ein Schadensbericht angefertigt. Die Entzifferung der Grabsteine ermöglicht zudem Rückschlüsse auf die in Worms ansässige jüdische Gemeinde des Mittelalters. Mit diesem Projekt wurde ein Desiderat der Forschung in Angriff genommen, da die Kunstgeschichte bis dato den jüdischen Grabsteine kaum Beachtung schenkte. Aber auch hier, so Prof. Michael Brocke, gibt es noch Bedarf an Forschung, die auch interdisziplinär durchgeführt werden müssten.
Mit den Antworten auf wissenschaftliche Fragestellungen und dem Aufzeigen noch zu erforschender Themen trug die Tagung ihren Teil zur Konkretisierung des Vorhabens Welterbe „SchUM“ bei. Bis zur endgültigen Antragstellung ist es noch ein langer Weg. Die Tagungsbeiträge können dabei nur als Hilfestellung für die Definition des „außergewöhnlich universellen Wertes“ der SchUM-Städte gelten, liefern aber mit ihren Inhalten, wie die ausgewählten Beispiele verdeutlichen, dessen wissenschaftliche Begründung.
Die schriftliche Dokumentation der Tagung wird im Frühjahr 2012 erscheinen und als Begründung für die Aufnahme in die deutsche Tentativliste dem Antrag beigelegt werden.
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