Ausstellungen, von Melanie Wigger, 29.12.11

„Live ist es natürlich ein bisschen anders“

Herforder MARTa zeigt Performancekunst im Museum

Nezaket Ekici hat die Stationen und zeitlichen Daten ihrer Projekte gesammelt und auf ihrem Körper fixiert. (Foto: Andreas Dammertz)

Eine Frau steht fest verschlossen in einer Gipsform. Nur ihre Arme hängen heraus. In ihren Händen hält sie Hammer und Meißel. Vorsichtig beginnt sie auf Brusthöhe sich aus ihrem Gefängnis herauszumeißeln. Immer wieder bricht sie ab, tastet und arbeitet sich mühevoll durch die dicke Wand, gefährlich nah kommt dabei das spitze Werkzeug ihrem Körper. Um sie herum reiht sich ein Publikum, das mit ihr bangt und auf die erlösenden Schläge wartet, die den Gips zerbrechen. In ihrem befreiten Gesicht zeichnet sich höchste Anstrengung ab.

Mit dieser Performance ist die Künstlerin Nezaket Ekici in die Öffentlichkeit getreten. Wie andere Performancekünstler setzt sie ihren Körper als künstlerisches Werkzeug ein und verschmilzt mit ihrer Kunst. Mit Bewegungen, Mimik und Gestik zeigt sie Emotionen, erzeugt Irritation, provoziert und versucht ihre Betrachter in die künstlerische Arbeit einzubinden. Diese Performance kann nicht wie ein Bild an die Wand gehängt oder wie eine Skulptur auf einem Sockel ausgestellt werden. Performancekunst zeichnet sich durch ihre Einmaligkeit aus, sie ist an einen Körper und einen Augenblick gebunden.

Eine Archivierung oder die Aufnahme in einem Museumsbestand sowie eine nachträgliche Präsentation scheinen nahezu unmöglich. Trotzdem hat sich die Performancekünstlerin Ekici an dieses Problem herangewagt und in Zusammenarbeit mit dem MARTa Herford eine Ausstellung entworfen, bei der unterschiedliche Performanceprojekte der vergangenen Jahre, auch ohne die Anwesenheit der Künstlerin, präsentiert werden.

Unter dem Titel „Personal Map (to be continued …)“ bietet die Künstlerin einen vielseitigen Einblick in ihre Performanceprojekte der letzten zehn Jahre. Zusätzlich bereichert wird die Ausstellung durch neu angefertigte Arbeiten, die das Thema der „Personal Map“, einer „persönlichen Weltkarte“ der Künstlerin, betonen. Dazu hat sich Ekici mit ihrer bisherigen künstlerischen Biografie auseinandergesetzt. Sie hat die Stationen und zeitlichen Daten ihrer Projekte gesammelt und auf ihrem Körper fixiert. In einer Videoperformance kann der Betrachter miterleben, wie sich die Künstlerin nach und nach selbst beschriftet und dabei eine Art verkörperten Spickzettel erstellt. In einer sehr persönlich anmutenden Atmosphäre entsteht ein Rückblick auf über 120 Performances, in mehr als 30 Ländern, rund um den Globus verteilt.

Ekici legt großen Wert darauf viel zu reisen, immer in Bewegung zu sein, und begründet diese Eigenschaft mit ihren biografischen Wurzeln: „Ich war schon als Kind eine Nomadin.“ Bereits im Alter von drei Jahren zog sie mit ihrer Familie von der Türkei nach Deutschland, wo sie heute noch lebt. Im Alltag reist sie um die ganze Welt, um ihre Performancekunst ganz bewusst in unterschiedlichen Kulturen darzubieten. „Ich finde es sehr spannend, wie Kulturen darauf reagieren und ich erlebe immer wieder Neues, weil die Mentalität, die Herangehensweisen immer anders sind.“ Mit diesem kulturell vielfältigen Erleben begründet die Künstlerin außerdem ihre Einstellung darüber, dass sie ihre Projekte wiederholt aufführt.

Im Gegensatz zu vielen anderen Performancekünstlern, die in der Wiederholung ihrer Arbeiten deren Einmaligkeit bedroht sehen, sieht Ekici in der wiederholten Darbietung keine Gefahr, sondern eher eine Bereicherung. Der Reiz für sie liegt darin an verschiedenen Orten zu spüren, wie die Kulturen jeweils ganz unterschiedlich auf ihre Performance reagieren. Zudem findet sie es schade, eine Performance nur einmal zu präsentieren. „Die Welt ist groß genug, es gibt so viele Menschen. Es ist doch schön, wenn andere Menschen auch daran teilhaben.“ Ihren Betrachtern will Ekici vor allem, übermittelt durch eine, wie sie sagt, „körperliche Sprache“ mit ihren persönlich inspirierten Geschichten die Schönheit des Lebens zeigen. Ihr Publikum soll die Möglichkeit bekommen, dieses Gefühl mitzuerleben. Die Lebensnähe der Performancekunst erlaubt laut Ekici einen besseren Zugang für die Betrachter, da die bewegte Kunst mehr Lebendigkeit vermittelt als zweidimensionale Bilder.

Die Künstlerin steht selbstbewusst zu ihren Arbeiten, obwohl einige Vorgehensweisen von ihr auch strittig diskutiert werden. Dazu gehört beispielsweise die Dokumentation ihrer Performancekunst als Videoaufnahmen. Viele Künstler lehnen eine Aufzeichnung ihrer Performances strikt ab. Ekici meint: „Sie können machen, was sie wollen. Aber mir persönlich wäre die reine Durchführung einer Performance zu wenig.“ Deshalb findet die Künstlerin ihre Videoperformances wichtig. Außerdem kann sie durch diese filmische Konservierung ihre Arbeiten nicht nur archivieren, sondern ebenso reflektieren. „Ich habe bei meiner Arbeit ja nie einen Spiegel vor meiner Nase, aber ich finde es sehr interessant mich selbst zu sehen.“ Die Sichtung dieser Aufnahmen überrascht die Künstlerin sogar selbst: „Bei Arbeiten, bei denen es heftig an die Grenzen geht, sieht es manchmal erschreckend aus, was mit meinem Gesicht so passiert. Ich muss in eine Performance unheimlich viel Energie reinstecken. Diese Kraft, das spürt man. Das ist ja auch eine Frage an mich, ob mein Experiment funktioniert.“

Neben ihrer Performancekunst bewertet sie die dabei entstehenden Videoaufnahmen als eigenständige künstlerische Arbeiten. Diese werden gezielt in bestimmten Perspektiven gefilmt und im Nachhinein geschnitten. Das Experimentieren mit unterschiedlichen Medien gehört für sie zum künstlerischen Schaffen dazu. Das Filmen sieht sie eine spannende Möglichkeit innerhalb ihrer Arbeit künstlerisches Neuland zu betreten und daraus zu lernen. „Ich will noch andere Sache probieren“, erklärt Ekici über ihr vielseitiges Interesse neben ihrer Arbeit mit Performanceprojekten.

Durch das Videomaterial und deren Ergänzung mit Objekten aus den in den letzten Jahren von Ekici aufgeführten Performances ist ein Ausstellungskonzept entstanden, das funktioniert. Die vermeintlich vergängliche und körpergebundene Performancekunst kann auch ohne das Beisein der Künstlerin nachempfunden werden. Dennoch räumt Ekici mit einem Lachen ein: „Live ist es natürlich ein bisschen anders. 90 Prozent dieser Ausstellung kommt der Sache nahe. Aber live sollte man mich schon erlebt haben.“

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