Zeitgeschichte, von Moritz Schäfer, 07.10.10

Theresienstadt – Festung, Lager, Gedenkstätte

Verfolgung und Deportation am konkreten Beispiel

Dr. Voitech Blodig, stellvertretender Leiter der Gedenkstätte Theresienstadt

Unter dem Titel „Verfolgung und Deportation der europäischen Juden – Das Beispiel Theresienstadt“, informierte Dr. Vojtech Blodig am 6. Oktober im Kreismuseum Wewelsburg im Rahmen eines Vortrages über die Geschichte des Ghettos Theresienstadt und seiner Opfer. Neben einer Darstellung der Entwicklung des Lagers von seiner Einrichtung 1941 bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1945, vermittelte Blodig vor allem ein Bild über verschiedene Seiten des alltäglichen Lebens der Häftlinge.

Gegenstand war zunächst der Zeitraum vor der deutschen Okkupation. In den Jahren 1780-90 als Festung errichtet, habe Theresienstadt das innere Böhmens vom Norden her schützen sollen. Den tragischsten Teil ihrer Geschichte, so Blodig, stelle jedoch die Zeit des zweiten Weltkrieges und der Okkupation durch das nationalsozialistische Deutschlands dar. Ab November 1941 sei hier ein Ghetto für Juden entstanden, das als „wesentliches Bindeglied im ungeheuerlichen Mechanismus der Endlösung der Judenfrage – also der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in den von Deutschland beherrschten Gebieten“ bezeichnet werden könne. Der Begriff „Ghetto“ sei jedoch als nationalsozialistischer Tarnbegriff im Kontext der Propaganda zu betrachten. „Es hatte nichts mit den Rechten und der Autonomie historischer Ghettos gemeinsam!“ sagte Blodig, „Eigentlich handelte es sich um ein Konzentrationslager für Juden.“

Blodig betonte, dass er mit seinem Vortrag keinesfalls nur „Fakten aus der Geschichte des Ghettos aufzählen, sondern vor allem verschiedene Seiten des alltäglichen Lebens seiner Zwangsbewohner aufzeigen“ wolle. So beschrieb er beispielsweise die Situation der Häftlinge im Hinblick auf deren Unterbringung und Verpflegung. Das Leben im Ghetto habe sich durch Platzmangel ausgezeichnet. Auf dem Höhepunkt der Belegung des Lagers habe für jeden Häftling lediglich 1,6 Quadratmeter Lebensraum zur Verfügung gestanden. Aus der Überbelegung habe sich schließlich ein Mangel an Wasser, Waschgelegenheiten und Toiletten ergeben, welcher wiederum grundlegende, mit den einfachsten Grundbedürfnissen zusammenhängende hygienische Probleme mit sich gebracht habe. Prägende Elemente des alltäglichen Lebens seien der nie endende Kampf gegen lästiges Ungeziefer, infektiöse Krankheiten sowie der Mangel an Privatsphäre und die damit verbundene seelische Qual gewesen. Allgegenwärtig sei auch der Hunger gewesen, der die langzeitige Unterernährung der Häftlinge zur Folge hatte. Sie hebe sich jedoch nicht nur aus zu kleinen Essensrationen, sondern ebenso aus deren Eintönigkeit und Vitaminmangel ergeben.

Als prägend für die Zwangsgemeinschaft der Theresienstädter Häftlinge, bezeichnete Blodig deren Heterogenität. Sie habe sich durch die unterschiedlichen kulturellen Traditionen sowie sprachliche, konfessionelle und weltanschauliche Differenzen ausgezeichnet und das Leben im Ghetto noch komplizierter gemacht, als es ohnehin schon gewesen sei. So etwa aufgrund eines umfangreichen Systems von Anordnungen und Verboten (beispielsweise im Bezug auf den Postverkehr, das Rauchen oder den Kontakt mit Familienangehörigen), welches von der Lagerleitung etabliert worden sei. Verstöße habe man mit drakonischen Strafen geandet und bereits in den ersten Monaten, die das Ghetto bestand, sei es zu mehreren Massenhinrichtungen gekommen.

Ähnlich wie in anderen Konzentrationslagern habe man auch hier versucht, die Häftlinge Schritt für Schritt ihrer menschlichen Würde zu berauben: „Sie sollten sich in Bloße Nummern verwandeln, deren Wert an den Festungsmauern endete.“ Man könne die Juden in Theresienstadt allerdings keinesfalls als „passive Opfer“ des Genozids bezeichnen. Als Beispiel hierfür nannte Blodig verschiedene Widerstandsorganisationen innerhalb des Ghettos. „Ihre Organisationsnetzwerke bemühten sich um die Aufrechterhaltung des Kontakts mit der Außenwelt, unterstützen die Solidarität unter den Häftlingen und versuchten Strukturen zu schaffen, die für den Fall einer gewaltsamen Liquidation Theresienstadts Widerstand organisieren konnten.“ Dem „monströsen Räderwerk der Lösung der Judenfrage“, das durch zahlreiche Transporte in die östlichen Vernichtungslager verkörpert wurde, konnten sie jedoch keinen Einhalt gebieten.

An dieser Stelle hob Blodig die Bedeutung hervor, die das Wort „Transport“ für die Menschen im Ghetto hatte. So seien die Häftlinge zunächst voller Hoffnung gewesen, das Theresienstadt zu einer Art Zufluchtsort werden würde, an dem sie – wenn auch unter schwierigen Bedingungen – bis zum Ende des Krieges überleben könnten. Die Einberufung in einen Transport Richtung Osten jedoch „bedeutete das Ende aller Verbindungen des bisherigen Lebens und den Beginn einer Reise ins Unbekannte.“ Die Transporte nach Osten seien zum „Alptraum des Ghettos“ geworden, dem man zu entgehen versuchte. Die Tatsache, dass die SS-Kommandantur lediglich Richtlinien für die Zusammensetzung der Transporte bestimmt habe, welche letztendlich die Selbstverwaltung des Ghettos zusammengestellt habe, sei „eine Quelle ständiger Konflikte, moralischer Traumatisierung und ein Fruchtbarer Boden für Korruption“ gewesen. Später habe dann die SS selbst eine Reihe von Transporten zusammengestellt. Dass es dabei zum Rücksichtslosen Auseinanderreißen von Familien gekommen sei, könne man keinesfalls als außergewöhnlich bezeichnen, so Blodig. Er hob jedoch den Zynismus hervor, mit dem die Kommandantur den in Theresienstadt bleibenden Familienmitgliedern begegnet sei. So habe man ihnen die Möglichkeit gegeben, sich für nachfolgende Transporte zu melden, damit sie wieder mit ihren Nächsten vereint würden.

Es sei vor allem die Kultur gewesen, welche den Häftlingen geholfen habe, die Sorgen des Theresienstädter Alltags zu überwinden. „Im Geheimen stattfindende Kultur- und Bildungsveranstaltungen, an denen sich hervorragende Wissenschaftler, Künstler und Politiker der Vorkriegszeit beteiligt waren, halfen dabei, ihren Optimismus und den Glauben daran zu stärken, dass die Qualen ihres Lebens in Gefangenschaft eines Tages enden würden“, sagte Blodig. Dabei sei es nicht nur um das konsumieren von Kultur gegangen. Vor allem die jüngeren Häftlinge seien durch das Milieu des Ghettos dazu bewegt worden, ihren Gefühlen und Gedanken schriftlich Ausdruck zu verleihen. In Gedichten und anderen Literarischen Formen seien auf diese Weise Dokumente entstanden, „die noch heute die Atmosphäre des Ghettos auf vollendete Weise vermitteln und grundlegende Fakten seiner Entwicklung widerspiegeln.“ Den Vortrag beendete die Präsentation verschiedener Kinderzeichnungen aus dem Ghetto, welche nach Kriegsende weltweite Berühmtheit erlangten. Die Mehrheit ihrer Schöpfer habe die Befreiung des Theresienstadts nicht mehr erlebt. Für die Nachkriegsgenerationen, so Blodig, seien sie als Warnung vor den Folgen der Gewalt zu betrachten. „Mit ihrer einfachen Schönheit, die die Reinheit der kindlichen Seele Widerspiegelt, sind die Kinderzeichnungen aus Theresienstadt das besonders Aussagekräftige Zeugnis, dass die Monstrosität der Endlösung der Judenfrage akzentuiert.“

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