Zeitgeschichte, von Victoria Evers, 26.11.10

Morgens Menschenvernichtungspläne, nachmittags heile Familienwelt

Wewelsburger Symposium beleuchtete das „ganz normale“ Innenleben der SS

V.l.n.r.: Kreisdirektor Heinz Köhler, Vorsitzender des Kulturausschusses Friedhelm Hüwel, Referent Dr. Matthias Hambrock, Universität Halle-Wittenberg, Referent Prof. Dr. Ulrich Herbert, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Referent Dipl. Pol. Markus Moors, Kreismuseum Wewelsburg, Landrat Manfred Müller, Wissenschaftlicher Volontär Moritz Pfeiffer, Kreismuseum Wewelburg, stellv. Museumsleiterin Kirsten John-Stucke, Kreismuseum Wewelsburg, Dr. Franz Josef Winter und Prof. Reinhard Sprenger, Förderverein Kreismuseum Wewelsburg e. V.

Ritterorden, Elitemenschen, mordende Bestien – Begriffe, die mit der Schutzstaffel des Dritten Reiches in Verbindung gebracht werden. Aber wer oder was steckt hinter der Tätergruppe des Nationalsozialismus? Dieser Frage widmete sich das 3. Wewelsburger Symposium, das vom Kreismuseum Wewelsburg und seinem Förderverein veranstaltet wurde. Rund 150 Zuhörer erhielten aufschlussreiche Einblicke in die Innenwelt der SS.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Landrat Manfred Müller. Er betonte, wie wichtig es vor allem in der heutigen Zeit sei, sich der kulturellen Identität und auch ihrem bis heute nachwirkenden Erbe zu stellen. Gerade die Wewelsburg als Ort des Erinnerns und Gedenkens habe dies durch die Neukonzeption der Dauerausstellung „Wewelsburg 1933-1945. Ideologie und Terror der SS“ nicht nur überregional, sondern auch international erreicht. Die anschließenden Vorträge gaben einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand und räumten darüber hinaus mit zahlreichen düsteren Mythen um sie Schutzstaffel auf.

Prof. Dr. Ulrich Herbert von der Universität Freiburg zeichnete ein allgemeines Bild der SS, die mit ihrer Ideologie ein maßgebliches, politisches Instrument zur Durchsetzung der Diktatur darstellte. Auch das direkte Mitwirken am Holocaust, Kriegsverbrechen an der Front und im Zivilen brachte er zur Sprache. Das Element „Volksgemeinschaft“, die von Adolf Hitler propagierte Einheit des Volkes, stellte Herbert klar als Totalitätsgrundsatz heraus. Die SS sah sich selbst als Protektor dieser Gemeinschaft, versuchte sie wie ein Arzt zu pflegen: „Die SS tritt also als Sicherer und Überwacher der Volksgesundheit auf, die von innen und außen infiziert werden kann.“

Dr. Matthias Hambrock von der Universität Halle-Wittenberg unterstrich die Normalität der SS-Mitglieder. Es ginge nicht mehr darum, ein typisches SS-Täterprofil zu erstellen, vielmehr müsse die Ambivalenz dieser Menschen betrachtet werden. Von vollzeitmordenden Bestien zu sprechen sei hier verkehrt – Lebensweise und Lebensumstände müssen einbezogen werden. Erschreckend erscheine dabei, dass ein Großteil der SS-Mitglieder aus der Mitte der Gesellschaft gekommen sei. Hinzu kam auch eine große Zahl Akademiker und Intelektueller, gerade in den höheren Rängen. Man dürfe nicht mehr von dem abnormen, pathologischen Massenmörder ausgehen, sondern müsse sich den normalen Nachbar oder Familienvater von nebenan vor Augen führen. Morgens Menschenvernichtungspläne, nachmittags heile Familienwelt. Auch und gerade in Wewelsburg, dem geplanten ideologischen Zentrum Heinrich Himmlers, waren diese Menschen vertreten.

Markus Moors, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kreismuseums, arbeitete in seinem Vortrag heraus, welche Rolle der Wewelsburg innerhalb des SS-Apparates zufiel. Das geplante „Reichshaus der SS-Gruppenführer“ in dem kleinen ostwestfälischen Ort sollte eine elitäre Versammlungsstätte für die höchsten SS-Führer gigantischen Ausmaßes werden: „Wir haben hier ein todernstgemeintes Disneyland für SS-Männer“. Mindestens 1.285 Menschen kamen bei der Umsetzung der Baupläne an Burg und Dorf als Zwangsarbeiter ums Leben. An kaum einem Ort, so betonte Moors, seien Ideologie und Terror der SS so unmittelbar miteinander verwoben wie in Wewelsburg. Moors provokanter Vergleich der SS mit Naturvölkern aus Melanesien, deren Männerhäuser, ähnlich wie die von Heinrich Himmler geplante Wewelsburg, als Kult- und Versammlungsorte fungieren, wurde kontrovers diskutiert.

In der abschließenden Diskussion stand vor allem die Frage nach dem aktuellen bzw. zukünftigen Forschungsstand im Vordergrund. Das Vorgehen der Deutschen in Osteuropa sei bisher wenig thematisiert erläuterte Herbert. In Bezug auf die Zeit des Dritten Reiches stünde zudem auch ein ausführlicher Blick auf Südosteuropa, speziell auf Griechenland, noch aus.

Es wird also weitergehen. Die Nationalsozialisten, Mitläufer und Opfer werden auch in Zukunft beschäftigen, erinnern und mahnen – ein weiterhin lebendiges Stück (nicht nur) deutscher Geschichte.

V.l.n.r.: Kreisdirektor Heinz Köhler, Vorsitzender des Kulturausschusses Friedhelm Hüwel, Referent Dr. Matthias Hambrock, Universität Halle-Wittenberg, Referent Prof. Dr. Ulrich Herbert, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Referent Dipl. Pol. Markus Moors, Kreismuseum Wewelsburg, Landrat Manfred Müller, Wissenschaftlicher Volontär Moritz Pfeiffer, Kreismuseum Wewelburg, stellv. Museumsleiterin Kirsten John-Stucke, Kreismuseum Wewelsburg, Dr. Franz Josef Winter und Prof. Reinhard Sprenger, Förderverein Kreismuseum Wewelsburg e. V.

Ganz normale Männer? Die Wewelsburger SS-„Burgmannschaft“ 1938

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