Medien, Kultur überregional, Gegenwartskultur, von Melanie Wigger, 22.02.12

Ein Baby namens Facebook

Revolution und die Rolle von Social Media

Tag 16 der Revolution in Ägyptischen. Als Zeichen dafür, dass die MEnschen auch für nachfolgende Generationen auf die Straße gehen, hält ein Mann sein Kind über die Köpfe der Demonstranten. (Foto: Mariam Soliman, Quelle: Wiki Commons)

Im Februar 2011 wird in Ägypten ein Mädchen geboren. Selbst in Anbetracht der zeitlichen Umstände, in denen das Kind das Licht der Welt erblickte, ist das noch keine außergewöhnliche Nachricht. Kinder kommen immerhin jederzeit und überall auf die Welt. Doch dieses Mädchen ist etwas besonderes, denn seine Eltern entschließen sich, ihr den Namen „Facebook“ zu geben. Klingt wie ein schlechter Witz, wird jedoch – zumindest Ansatzweise – nachvollziehbar, wenn man die Hintergründe kennt. Die Eltern haben den sogenannten ‚Arabischen Frühling‘ aus nächster Nähe miterlebt. Mit dem Namen ihres Kindes wollen sie ihre Dankbarkeit über den Erfolg der ägyptischen Revolution ausdrücken. Doch welche Rolle spielten die sozialen Netzwerke tatsächlich bei den Ereignissen im Nahen Osten?

Gebannt verfolgte die Welt im letzten Jahr über Facebook und ähnliche soziale Medien, welche Ereignisse zeitgleich in der nahöstlichen Region ihren Anfang nahmen. Die Tatsache, dass die Massen in den sozialen Netzwerken gezielt gegen das Regime aufrufen konnten, wurde sehr bald als  Erklärungsversuch für die schnellen Protesterfolge herangezogen. Unter dem Begriff ‚Facebook-Revolution‘ diskutierte man in den Medien ein Phänomen, das vor allem im Hinblick auf die Organisation und die Mobilmachung der Menschen auch westliche Beobachter beeindruckte.

Obwohl moderne Kommunikationsmittel insbesondere im westlichen Kulturraum gegenwärtig einen großen Einfluss haben, sollte dies nicht unreflektiert auf die arabische Kultur übertragen werden. Deshalb hat sich der Forscher Jan Hanrath vom Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen mit der Bedeutung sozialer Netzwerke und moderner Medien für die nahöstlichen Revolutionen auseinandergesetzt. „Die Rolle der neuen Kommunikationsmittel wie Facebook, Twitter und Youtube sollte nicht überschätzt werden“, erklärt Hanrath. Sie würden zwar weltweit Informationen zu den Entwicklungen im Nahen Osten verbreiten und die Proteste erfahrbar machen, diese allerdings nicht zwangsläufig verursachen. „Durch Blogs und im Netz veröffentlichte Kurzvideos erfährt die Welt von den Protesten und den Reaktionen der Regierungen“, so Hanrath.

Die Bezeichnung ‚Facebook-Revolution‘ trifft also nicht wirklich den Kern der Ereignisse, denn bei der Organisation der Massenproteste steht die klassische Kommunikation, wie etwa Flugblätter und Mund-zu-Mund-Propaganda, weiterhin im Vordergrund. Auf diese Mittel verließ man sich selbst in Ägypten zum Aufruf der Massen, obwohl dort eine vermehrte Nutzung der sozialen Netzwerke für die Protestorganisation nachgewiesen wurde. Hanrath erklärt dies anhand einer Statistik über die Mediennutzung in arabischen Ländern. Daraus geht hervor, dass nur eine Minderheit von unter zehn Prozent sich im Internet über Nachrichten informiert. Die deutliche Mehrheit nutzt demnach das Fernsehen. Vor allem die arabischen Fernsehsender Al Jazeera und Al Arabiya haben mit ihrer Berichterstattung einen breiten Einfluss. Sie übertragen Protestmeldungen sowie den Kontrollverlust der Regime effektiver in die nahöstliche Region als neuere Kommunikationsmittel. „Die Fernsehsender trugen zu einem Übergreifen der Proteste auf weitere Länder bei“, so Hanrath, „denn durch ihren Einfluss auf die arabische Öffentlichkeit offenbarten sie, dass die Regime in Frage gestellt und überwunden werden können.“

Zusätzlich hat Hanrath noch weitere Faktoren ermittelt, die über den Verlauf der Revolutionen bestimmen. Dazu gehören insbesondere die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Regime für die Abwehr von Volksaufständen. Dabei stellt das Militär ein wichtiges Machtmittel des Regimes dar. Hanrath klärt auf: „Wenn es den Herrschern gelingt, das Militär in der Hand zu behalten, ist es möglich, die Proteste trotz ihrer Breite und Verankerung gewaltsam niederzuschlagen.“ Damit ließe sich ebenfalls die Wendung von friedlichen Protesten zu einem Bürgerkrieg in Libyen erklären: „Solange die Regime die Kontrolle über das Militär, die Polizei und Geheimdienste nicht verlieren, behalten sie eine Chance, durch Unterdrückung an der Macht zu bleiben.“ Ägypten und Tunesien seien hingegen Beispiele für den Zusammenbruch der Regime durch den Verlust dieser Machtorgane.

Weitere Bedingungen für den Erfolg der Revolutionen sind laut Hanrath auch der Zusammenhalt und die Belastungsgrenzen des Gegners. Lassen sich die herrschenden Eliten spalten, gegeneinander ausspielen oder verbünden sich Teile von ihnen mit der Protestbewegung, verlieren die Regime unweigerlich an Macht. Jedoch können sie ihre Position sichern, wenn sie finanzielle Mittel taktisch einsetzen. „Die Regierung kann zum Beispiel bestimmte Bevölkerungsgruppen ‚einkaufen‘ und damit ruhig stellen“, sagt Hanrath. Das funktioniert unter anderem mit Geldgeschenken oder staatlich geschaffenen Arbeitsplätzen, mit denen die Bevölkerung friedlich gestimmt wird. In anderen Teilen des Nahen Ostens wird das finanzielle Lockmittel verwendet, um sich außerhalb des Staates zu verbünden und damit die Macht über das Volk zu erweitern.

Es handelt sich also insgesamt um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, das über den Ausgang der Proteste bestimmt. Soziale Netzwerke stehen dabei zwar nicht an erster Stelle, können jedoch im Hinblick auf eine umfassende Nachrichtenerstattung, wie etwa im Fall „Arabischer Frühling“, eine nicht zu unterschätzende Funktion einnehmen. Durch das private Einstellen von Videos, Fotos und Kommentaren ist das politische Ereignis außerordentlich vielfältig dokumentiert worden. Auf der ganzen Welt konnten die Entwicklungen der Proteste sogar live mitverfolgt werden, wodurch letztendlich auch Sympathie und Mitgefühl für die Demonstranten entstand. Die westliche Welt hat ein ungewöhnlich starkes Interesse an der nahöstlichen Region gezeigt. Wenn man auch nicht von einer ‚Facebook-Revolution‘ sprechen kann, dann vielleicht darüber, dass die sozialen Netzwerke im Internet die Chance geboten haben, einen Austausch über das Erlebte und Motivation für Protestgruppen auf der ganzen Welt zu fördern. Und vielleicht ist das kleine Mädchen namens Facebook irgendwann eine Nutzerin sozialer Medien im Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie.

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