Zeitgeschichte, von Jens Hecker, 17.01.11

Ein Europa … am liebsten blond und blauäugig!

Isabel Heinemann untersucht die Germanisierungspolitik der SS im Zweiten Weltkrieg

Staatlich geförderte Zuchtstationen: Auf der Grundlage der NS-Rassenhygiene sollte im Lebensborn e.V. die Geburtenrate "arischer" Kinder erhöht werden. Die Aufnahme zeigt eine Schwester in einem der Lebensbornheime 1943. (Quelle: Deutsches Bildarchiv, Bild 146-1973-010-11)

Die Schutzstaffel der NSDAP war eine Organisation, die sich selbst nicht nur als Elite der nationalsozialistischen Gemeinschaft verstand. Nach rassischen Kriterien sah sie sich selbst an der Spitze der gesamten Menschheit. Um dieser Vorstellung gerecht zu bleiben, gab es strenge Kriterien, nach denen man neue Mitglieder auswählte. Festgelegt wurden sie von Rassenexperten aus den eigenen Reihen. Körpergröße, Kopfumfang und Augenfarbe: Vor allem über Äußerlichkeiten wurden Rückschlüsse auf die Abstammung gezogen. Ein großer Körper deutete auf germanische Wurzeln hin, als besonders hochwertig galten blonde Menschen mit blauen Augen.

Zunächst galten die Theorien der Eignungsprüfer, ihre in Rassekarten eingetragenen Merkmale, lediglich als organisationsinterne Auswahlkriterien. Die geschichtlichen Ereignisse der 1930er Jahre, die Ausdehnung des Reichsgebiets mit der Einverleibung des Sudetenlandes und dem Anschluss Österreichs, sowie der Kriegsbeginn 1939, machten es der SS jedoch möglich, sie auf weite Teile Europas anzuwenden. Der Umstand der deutschen Diktatur erlaubte es ihr, nicht nur die Ideologie, sondern auch die Exekutive zu besetzen. Das neu geschaffene Reichs- und Sicherheitshauptamt (RuSHA), verlieh der SS die Macht, ihre Idee eines rassischen Europas auch umzusetzen. Für viele Menschen bedeutete das Vertreibung, Umsiedlung, Ermordung. Die exekutive Gewalt der SS ermöglichte die brutale Umsetzung einer rassischen Logik und führte zu den genozidalen Handlungen, deren Grundstein die Ermordung der europäischen Juden bildete.

Die ersten Erfolge Hitler-Deutschlands machten die Rasseexperten der SS nach Ansicht von Frau Heinemann im wahrsten Sinne des Wortes „Machtbesoffen“. Mit dem Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion im Jahre 1941 verbanden diese Theoretiker die Vorstellung vom germanischen Großreich. In ihm sollte der rassische Wert der Menschen das Schlüsselkriterium bilden. So musste die zivile Bevölkerung im Osten Untersuchungen über sich ergehen lassen, die in letzter Konsequenz über Leben und Tod entschied. Die Dimension und die Radikalisierungsschritte dieser Idee forderten Millionen Menschenleben und sind in der breiten Öffentlichkeit weit weniger präsent als das, was wir unter dem Holocaust verstehen.

Staatlich geförderte Zuchtstationen: Auf der Grundlage der NS-Rassenhygiene sollte im Lebensborn e.V. die Geburtenrate "arischer" Kinder erhöht werden. Die Aufnahme zeigt eine Schwester in einem der Lebensbornheime 1943. (Quelle: Deutsches Bildarchiv, Bild 146-1973-010-11)

Prof. Dr. Isabel Heinemann von der Universität Münster betreibt Täterforschung (Foto: Hecker)

Die Abschrift eines Dekrets von Rudolf Creutz, stellvertretender Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums. Es enthält allgemeine Anordnungen und Richtlinien für die Ausweisung einer großen Zahl von Juden aus Polen, der späteren Einziehung von deren Land und Eigentum und der Neuansiedlung von Volksdeutschen in den evakuierten Gebieten. 1947 wurde es als Beweismittel im RuSHA-Prozess eingeführt. (Quelle: USHMM)

Die vierzehn Angeklagten lesen die Anklage, die gegen sie erhoben wird. (Quelle: USHMM)

Der Chefankläger der US-Nachfolgeprozesse, Brigadegeneral Telford Taylor (vorne rechts), am Tisch der Anklage während der Verlesung der Anklageschrift im RuSHA-Prozess. Ein Großteil der Rassenexperten kam mit milden Haftstrafen davon und konnte in der jungen Bundesrepublik ein relativ unbehelligtes Leben führen. (Quelle: USHMM)

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