Gegenwartskultur, von Dorothea Zaczynski, 07.05.12

Catwalk statt Container

Ein Beispiel aus der Kollektion (Bildquelle: Dorothea Zaczynski)

Ein Loch im Lieblingsshirt und der Ärger ist groß. Dann heißt es für die meisten Menschen nur noch eins - Endstation Mülleimer. Für das Berliner Designerlabel Schmidttakahashi undenkbar.

Bereits seit Jahrhunderten verbindet Mensch und Kleidung eine beinahe unzertrennliche Freundschaft. Ob Zeitungsberichte über internationale Modenschauen oder eifrige Blogger, die ihre eigene kleine Modewelt im Web 2.0. bauen. Die Modeszene heutzutage pulsiert und die Bekleidungsindustrie hechelt in ihrer Massenproduktion den gefühlt täglich wechselnden Trends hinterher. Kleidungsstücke, die uns nach der Geburt ein Leben lang umhüllen, werden selbstverständlich ‚konsumiert‘ und wenn etwas nicht mehr passt, gibt es zwei einfache Lösungen: Wegschmeißen oder den Altkleidercontainer füttern. Was mit dem liebgewonnenen Kleidungsstücken danach passiert, interessiert die Wenigsten. Zu sehr lockt die Versuchung nach der neuesten Mode. Doch auch ein Altkleidercontainer kann Überraschungen bergen, wenn es sich um einen der speziellen Container von Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi handelt. 

Nach einem gemeinsamen Studium an der renommierten Kunsthochschule Weißensee in Berlin gründeten die zwei Frauen im Jahre 2009 das Designerlabel Schmidttakahashi, das seither ein im ersten Moment ganz eigentümlich erscheinendes Konzept verfolgt: Aus Altkleidung soll moderne, individuelle Mode entstehen. In speziellen, mittlerweile auch international angesiedelten Containern werden alte Kleidungsstücke gesammelt und nach einer gründlichen Dokumentation über Form, Farbe und Material mit einem RFID, einer Art Transponder, versehen. Diese im Lager- und Logistikbereich weit verbreiteten Mikrochips erhalten von den Designerinnen eine spezielle Kodierung mit den jeweiligen Informationen über das Kleidungsstück, die man später mit einem Lesegerät erfassen kann. Dies ermöglicht dem Vorbesitzer auf Schmidttakahashis Homepage mithilfe einer bei der Spende speziell erhaltenen ID-Nummer den weiteren Lebensweg seines alten Kleidungsstückes zurückzuverfolgen. „Wir haben in unserer ersten und zweiten Kollektion diese RFID-Technik eingesetzt“, erzählt Mariko Takahashi, denn „wir sind sehr offen für neue Möglichkeiten und wollen weiter experimentieren, um unsere Produkte spannend zu gestalten.“ Die technischen Möglichkeiten seien jedoch stets nur Mittel zum Zweck, wie auch die kleinen Transponder. Vielmehr steht die ästhetische Widerbelebung der getragenen Kleidung im Mittelpunkt.

Deshalb ist ‚Reanimation‘, der Name von Schmidttakahashis erster Kollektion, Programm. Alte Pullover und Jacken, ausgeleierte Röcke und Hosen, gebrauchte Kleider und Hemden werden wiederbelebt und verschmelzen zu kreativen, individuellen und ‚neuen‘ Einzelstücken. Durch die künstlerische Freiheit können die ungewöhnlichen Kombinationen jedoch schnell zu einem willkürlichen und visuell anstrengenden Augenschmaus mutieren. „Wir haben sehr darauf geachtet, durch Farb- und Materialkombination eine Harmonie im Gesamtbild zu schaffen“, beruhigt die aus Japan stammende Mariko Takahashi. Sie persönlich liebe diese „Gebraucht-Ästhetik“, die mit der oft künstlich hergestellten Vintage-Optik der neuesten Streetwear-Mode jedoch nichts gemein habe. Vielmehr gehe es um den natürlichen Verschleiß von Kleidung mit all ihren Gebrauchsspuren, so die Designerin. Schmutzflecken, Löcher und ausgebleichte Stellen erleben bei Schmidttakahashi eine positive Resonanz, werden oft belassen und mit wertvollen Stoffen wie Seide oder Pelz zusätzlich aufgewertet. Dies hat seinen Preis, denn es handelt sich um qualitativ hochwertige Unikate, deren Stoff aus gebrauchter, stets eine Geschichte erzählender Kleidung und nicht aus Stoffen von der Stange hergestellt wird.

Gebrauchte Kleidung fremder Menschen zu verarbeiten ist jedoch nicht immer einfach. Auch für Schmidttakahashi seien die Kleidungsstücke „manchmal sehr komisch oder sogar ein bisschen abstoßend, weil sie so viel über eine unbekannte Person erzählen“. Eine fremde Identität, in den Tiefen der Stofffalten vergraben. Schmidttakahashi vergleichen die Identität des Menschen mit einer Zwiebel und da sei „das Innerste der Zwiebel wahrscheinlich ‚die Seele‘ und dann folgen Körper, Leib, Haut, Kleidung, Raum, die man mit sich trägt“, erklärt Mariko Takahashi. „Es folgen Räumlichkeiten, in denen man sich aufhält und seinen Besitz unterbringt. Das Haus, die Nachbarschaft, die Stadt, das Land, der Kulturkreis.“ Dies alles prägt den Menschen und hinterlässt vertraute sowie fremde Spuren in der eigenen Identität, die nach Ansicht des Designerduos besonders im Bereich der Kleidung zum Ausdruck komme. Durch die Neuverarbeitung der alten Kleidungsstücke wird so ein Teil der Identität des Vorbesitzers beibehalten und durch viele verschiedene Möglichkeiten des Andersseins erneut individuell geprägt. Eine interessante, nicht ganz unwahrscheinliche Zukunftsvision, in der recycelte Mode den textilen Markt bestimmt und die Anonymität der steifen Neuware ‚lebendiger‘ und nachhaltiger Mode Platz macht. 

Obwohl die uralte Schneidertradition „Aus Alt macht Neu“ in der Gesellschaft bereits seit Jahrhunderten Verwendung findet, verleihen Schmidttakahashi der Tradition eine neue Perspektive. Als Designerinnen wollen Schmidttakahashi Lösungen für bestimmte Probleme finden. „Das Problem bei der früheren Zeit war eher Knappheit und Armut, jetzt sind Überfluss und Überangebot das Problem“ Dem wollen Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi entgegenwirken. Nachhaltigkeit wird oft mit Verzicht auf überflüssige Energien gleichgestellt, doch um eine neue Welle des Ökofanatismus solle es nicht gehen, meinen die Designerinnen. „Wir fänden es schade, wenn wir weniger ‚konsumieren‘ und so weniger Austausch von ‚Materialien‘ stattfindet. Für uns ist Mode eher eine Art Austausch von ‚Identität‘ und das war schon immer ein menschlicher Trieb. Miteinander zu kommunizieren, die Spannung von ‚Fremden‘ zu bewundern, bevor Modeindustrie überhaupt existierte.“ Trotz klarer Vorstellungen und einem interessanten Designkonzept stellt der gigantische Mechanismus der Bekleidungsindustrie immer noch die größte Herausforderung dar. Sich außerhalb des gängigen Maßstabes, somit auch des Mainstreams und der Massenkonfektion zu bewegen, erfordert trotz aller Innovation auch ein wenig Anpassung, „weil das wahrscheinlich noch lange dauert, bis sich die ganze Branche verändert.“ Davon lassen sich Schmidttakahashi aber nicht entmutigen.

Neben der ansteigenden Popularität in Deutschland, beispielsweise auf der Berliner Fashion Week, genießen Schmidttakahashi mittlerweile auch einen internationalen Ruf. Sei es in der Ausstellung „$hit Happens in Berlin“ in New York oder in dem Goethe-Institut Projekt „Re-Mex – Kunst und Recycling“ in Mexiko City. „Wir haben schon neue Ideen. Die kann ich jetzt noch nicht verraten, aber wir wollen, dass die Grenze zwischen Mode, Kunst und Technik immer verschwommener wird.“ verspricht Mariko Takahashi. Man darf gespannt sein und sich inspirieren lassen, ja, vielleicht sogar selbst zu Nadel und Faden greifen, wenn plötzlich die Hose reißt oder sich Nähte am Lieblingspulli lösen. Wegschmeißen war gestern, Do-it-yourself ist heute. „Nicht unbedingt aus ethischen oder moralischen Absichten. Das bringt einfach viel mehr Freude sich anzukleiden.“ Davon sind Schmidttakahashi mehr als überzeugt. 

Ein Beispiel aus der Kollektion (Bildquelle: Dorothea Zaczynski)

FINAla (Bildquelle: Dorothea Zaczynski)

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