Gegenwartskultur, Kultur überregional, von Philipp Wiegers, 10.05.12

Oase im Chaos – Istanbuls versteckter Garten

Der Botanische Garten des Fachbereichs für Biologie der Universität Istanbul mit Blick auf den Galataturm (Bildquelle: Philipp Wiegers)

Mehr als 16 Millionen Menschen ballen sich in einer Stadt, die groß genug ist um sich auf zwei Kontinenten zu befinden, Istanbul. Eine Stadt, die weder Wochenenden noch Ladenschlusszeiten zu kennen scheint und von Touristen überrannt wird. Eine Stadt, die scheinbar nie schläft und die in Verkehrschaos und Menschenmassen unterzugehen droht. Dennoch finden sich in all diesem Chaos unerwartete Oasen der Ruhe.

Eine dieser Oasen ist der Botanische Garten des Fachbereichs für Biologie der Istanbul Universität.  Versteckt im Schatten der Süleymanye Moschee, und damit mitten in der historischen Altstadt Istanbuls und dem touristischem Zentrum gelegen, strahlt dieser Garten eine ungewohnte Ruhe aus. Das heißt, wenn man ihn denn findet, denn versteckt ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen. Weder die unzähligen Stadtführer noch die sonst so ausführlichen Hinweisschilder weisen dem interessierten Besucher den Weg. Lediglich ein kleines, halb überwuchertes Schild im Innenhof des Amtssitzes des Istanbuler Muftis, dem islamischer Rechtsgelehrten der Stadt, weist in Richtung des Botanischen Gartens.

Von dem Schild aus ist es nur noch ein kurzer Weg durch das Untergeschoss des Instituts für Botanik und man betritt einen Ort, den man in der eng bebauten und hektischen Altstadt Istanbuls kaum für möglich halten würde. 

Der Botanische Garten, mit vollem Namen Istanbul University Science Faculty Alfred Heilbronn Botanical Garden, hat, wie der Name vielleicht vermuten lässt, deutsche Wurzeln. Der Gründer des Gartens, Prof. Dr. Alfred Heilbronn, emigrierte 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wie viele weitere Akademiker jüdischer Abstammung, in die noch junge Türkische Republik. Zuvor war Heilbronn am Lehrstuhl für Botanik der Universität Münster tätig und führte den dortigen botanischen Garten. In seiner neuen Heimat Istanbul übernahm Heilbronn die Aufgabe aus einem gerade mal 90 Pflanzen umfassenden Garten ein botanisches Institut aufzubauen. Anders als bei den anderen großen Parkanlagen Istanbuls, wie zum Beispiel dem Yıldız-Park am europäischen Bosporusufer, versuchte Heilbronn nicht nur eine optisch ansprechende Parklandschaft zu gestalten. Er hatte den Anspruch einen möglichst vollständigen botanischen Garten anzulegen. Heute finden sich hier Pflanzen aus allen Gegenden und Klimazonen der Welt. In dem Botanischen Garten warten 400 verschiedene Bäume und Sträucher sowie 3.500 Kräuter auf Besucher. Ungefähr 2.500 weitere Pflanzen sind auf sieben Gewächshäuser verteilt. Einige in einem speziellen Arktis Glashaus, da die örtlichen Temperaturen für diese Pflanzen viel zu hoch sind.

Jährlich besuchen den Garten ungefähr 10.000 Besucher, eine für Istanbuler Verhältnisse ungeheuerlich geringe Zahl. Diese Besucher sind Studenten, Forscher und Touristen. Aber auch Einheimische, die einfach ein ruhiges Picknick genießen wollen, zählen zu den Besuchern. Diesen bietet sich ein Ausblick über das Goldene Horn, ein Seitenarm des Bosporus und auf den mittelalterlichen Stadtteil Galata. Die geringen Besucherzahlen sind keinesfalls ein Hinweis auf die Qualität des Gartens, vielmehr lassen sie sich durch seine versteckte Lage erklären. Aber vielleicht macht auch gerade dieses den besonderen Reiz, in einer Stadt, die vor lauter Menschen aus allen Nähten zu platzen droht, aus. Der Botanische Garten ist für die Öffentlich zugänglich und kostet keinen Eintritt, gerne darf man sich etwas zu essen und zu trinken mitbringen und ein paar Stunden der Ruhe genießen. Lediglich Rauchen und offenes Feuer sind aufgrund der Brandgefahr verboten. Ein Ort der Ruhe im Chaos einer Millionenstadt, die man so nicht erwartet und die hoffentlich noch lange eine Oase der Erholung bleibt.

Der Botanische Garten des Fachbereichs für Biologie der Universität Istanbul mit Blick auf den Galataturm (Bildquelle: Philipp Wiegers)

Eingangstor zum Innenhof des Amtssitzes des Istanbuler Muftis

Das überwucherte Hinweischild

Der Garten

Der Garten

Blick auf das Goldene Horn

Der Garten mit der Süleymanye Moschee

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