Geschichte, von Christine Marie Koch, 02.08.12

Schlussstrich drunter?!

Die Entnazifizierung in Salzkotten

„Schluss mit der Entnazifizierung“ war das Motto der FDP im Wahlkampf 1949. Es spiegelte treffend die Einstellung der deutschen Bevölkerung zu den Untersuchungen ehemaliger Parteimitglieder der NSDAP wider; die Deutschen wollten nicht in der Vergangenheit wühlen sondern in die Zukunft blicken. Niemand wollte schuld sein und auch heute ist die Nennung von Namen im Zusammenhang mit der Entnazifizierung problematisch – selbst wenn die Angeklagten freigesprochen wurden.

 

Auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 hatten die Alliierten eine umfassende Entnazifizierung der deutschen Bevölkerung beschlossen deren Durchführung sich allerdings als schwierig erweisen sollte. Nach einer Überprüfung durch politische Fragebögen wurden die Angehörigen der Parteien in verschiedene Kategorien eingeteilt: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Die jeweiligen Sanktionen lagen im Ermessen der Kreismilitärregierung und konnte Entlassungen, Entzug des Wahlrechts, Meldeauflagen und Freiheitsstrafen beinhalten. Zwei Drittel der Angeklagten erhielt allerdings nur geringe Geldstrafen, die Übrigen gingen meist für weniger als ein Jahr ins Gefängnis. Neunzig Prozent aller Untersuchten wurden als einfache Mitläufer eingestuft; ab 1948 wurde auch ein Großteil der stärker Belasteten nach und nach heruntergestuft, da die Entnazifizierung keinerlei Priorität mehr besaß. Dies wird auch dadurch ersichtlich, dass nach der Übergabe des Prozesses in deutsche Hände im Dezember 1946 kein Entnazifizierungsgesetz in NRW zustande kam, da es zu viele politische Konflikte gab. Außerdem kam es ab 1947 zu Protesten gegen die Entnazifizierung, da diese angeblich problematisch für die junge Bundesrepublik gewesen sei. Dabei beriefen sich viele auf ein „Recht auf politischen Irrtum“. Am 22. Januar 1952 wurde dann das Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung verabschiedet. 

 

Auch heute und hier in Salzkotten im Kreis Paderborn ruft das Thema Entnazifizierung noch immer Unbehagen hervor.  Dr. Detlef Grothmann von der Universität Paderborn brachte jedoch seinem Salzkottener Publikum, von denen einige selbst noch Kindheitserinnerungen beisteuern können, ihre eigene Geschichte in seinem Vortrag „Die Entnazifizierung in Salzkotten am 27. Juni im Polizeimuseum Salzkotten behutsam näher.

 

Zunächst fand in Salzkotten ab Mai 1945 eine Entnazifizierung von Außen statt. Zu diesem Zweck musste der Bürgermeister eine Auflistung und Charakterisierung aller Parteimitglieder bereitstellen. Diese Aufstellung besagt, dass es in Salzkotten auffallend geringe Anteile - im Vergleich zum Reichsdurchschnitt - an Parteimitgliedern gab: Es habe nur 197 eingetragene Parteimitglieder und 10-20 führende Parteimitglieder gegeben. Trotz langwieriger Untersuchungen der Salzkottener Bevölkerung verliefen die meisten Anklagen im Sande.

 

Der Bürgerausschuss in Salzkotten entließ am 14. August 1945 Wilhelm K. aus seinem Amt als Bürgermeister während dieser sich in Kriegsgefangenschaft befand; später wurde er aber wieder in der Verwaltung eingesetzt. Es gab keine automatische Entlassung von Parteiangehörigen; die meisten wurden als Unbelastet eingestuft. Joseph G., der Nachfolger des Bürgermeister K. wurde interniert, konnte aber das Internierungslager schon bald wieder verlassen, da er durch die Salzkottener Gemeinde unterstützt wurde.

Landrat Ebers, der selbst ein Jahr in einem Konzentrationslager verbracht hatte und maßgeblich an den Entnazifizierungsprozessen beteiligt war, gab vielen Bittgesuchen statt und ließ Milde walten, wenn der „ideologische Glaube“ trotz einer Parteimitgliedschaft nicht nachgewiesen war.

In Salzkotten wurden zu Beginn des Jahres 1946 verschiedene Unterausschüsse für die Entnazifizierung gebildet; unter anderem für die drei größten Betriebe. Die parteipolitische Zusammensetzung dieser Unterausschüsse war insofern auffällig, als dass sie keine Mitglieder der SPD enthielten. Mitte 1948 galt die Entnazifizierung bereits als abgeschlossen. 

 

Zur Veranschaulichung der Entnazifizierung in Salzkotten wählte Dr. Detlef Grothmann drei konkrete Beispiele unter denen sich auch bekannte Salzkottener Namen befanden. 

 

Wilhelm H., 1942 Amtsgerichtsrat in Salzkotten und später Staatsanwalt am Volksgerichtshof wurde aufgrund seiner Tätigkeit in Berlin durch die Besatzung interniert. Er war zahlendes Mitglied der NSDAP gewesen und wurde als unbelastet eingestuft und entlastet. Ihm wurde durch Zeugen bescheinigt, sich für Regimegegner der Nationalsozialisten eingesetzt zu haben.

Allerdings war Wilhelm K. nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern später auch Ortsgruppenleiter. Da er „gesinnungsmäßig kein Nazi“ gewesen sei, wurde er als Mitläufer eingestuft. Dies wurde durch über 100 Salzkottener (u.A. durch Ärzte und Kirchenmitglieder) bestätigt. 

 

Karl S., ab 1937 Bürgemeister und später Amtsbürgermeister und Soldat im Krieg, wurde 1945 durch die Besatzer abgesetzt und gelangte in Internierungshaft. Da er ab 1931 einen steilen Aufstieg in der NSDAP erfuhr und als Parteiredner sehr aktiv gewesen war, wurde er zunächst als Hauptschuldiger bzw. Belasteter eingestuft. S. wurde allerdings am 19. April 1948 auf Kosten der Staatskasse freigesprochen, da er sich vom überzeugten Nazi zum Kritiker des Regimes gewandelt habe. Weitere Verfahren gegen ihn wurden ebenfalls eingestellt; am 17. Februar 1949 erfolgte der Freispruch, nachdem Karl S. Als Minderbelasteter eingestuft wurde. 1950 wurde er sogar zum Mitläufer heruntergestuft. Diese schrittweise Herunterkategorisierung erfolgte aus seinem „wechselseitig anmaßenden und unterwürfigem Verhalten“. Die Schändung des jüdischen Friedhofs stellte er beispielsweise als Widerstandsakt gegen das Regime dar. Teilweise nahmen vorherige Zeugen ihre Aussagen gegen S. zurück; unter anderem sagte ein Vikar aus Salzkotten aus, dass S. ab 1943 „allmählich“ vom Nationalsozialismus abgerückt sei. Unter Genehmigung bzw. Duldung der Salzkottener Bevölkerung eröffnete S. sogar schon im November 1945 eine Schreibstube in Salzkotten. Auch im Prozess gegen die Brandstifter der Salzkottener Synagoge wurde er freigesprochen. 

 

Die Ermittlungen zum Prozess gegen die Brandstifter der Synagoge vom 9. Dezember 1948 unter der Anklage „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in welchem unter anderem Herr K. und Herr S. belangt wurden, ergaben folgenden Tathergang:

Der Synagogenbrand sei eine Folge von Alkoholkonsum und „Ausschreitungen“ gewesen, zu denen es „nicht hätte kommen sollen“. Der Befehl dazu sei aus Paderborn gekommen; die Angeklagten hätten aber versucht, den „Aufruhr“ zu beschwichtigen. Herr K. selbst sei sogar erst am nächsten Morgen informiert worden und habe versucht, weitere Zerstörungen zu verhindern. Die Juden seien durch fremde Gestapo verhaftet und zur Wewelsburg gebracht worden. Insgesamt hätten 15-20 namentlich nicht bekannte SS-Leute, die nicht aus Salzkotten stammten, das Verbrechen begangen. Selbst der Hauptangeklagte, Heinrich K.-B. wurde bereits nach einem Jahr wegen mildernder Umstände vorzeitig aus der Haft entlassen. 

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