Zeitgeschichte, von Benedikt Neuwöhner, 29.10.10

"Heinrich der Anständige" – Aus dem Leben eines Massenmörders

Vortrag gab Einblick in die Biografie Heinrich Himmlers

Heinrich Himmler und sein persönlicher Adjutant Karl Wolff im Innenhof der Wewelsburg, Mitte der Dreißiger Jahre. (Foto: Kreismuseum Wewelsburg)

Wichtigste Tugend schien Heinrich Himmler die Anständigkeit zu sein. Ob in Briefen, Reden oder Befehlen, immer wieder hob er sie hervor, betonte ihre Bedeutung insbesondere für die Mitglieder der SS. 1943 attestierte er diese Anständigkeit sogar im Kontext zahlreicher Massenexekutionen, indem er seine Untergebenen lobte „durchgehalten zu haben und dabei abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwäche anständig geblieben zu sein“. Prof. Dr. Peter Longerich, Himmler-Biograph und renommierter Holocaust-Forscher, betonte bei seinem Vortrag am 28. Oktober im Kreismuseum Wewelsburg die Doppelmoral, die hinter dieser „Anständigkeit“ steckte. Korruption, Unterschlagung, Sadismus und Willkür seien vor allem bei den Massenexekutionen – in den Augen der SS ‚sachliche‘ und ‚anständige‘ Arbeitsabläufe – an der Tagesordnung gewesen. Unter dem Titel „Heinrich Himmler – Eine Biographie“ gab er darüber hinaus aufschlussreiche Informationen über die Karriere und Persönlichkeit von SS-Führer Heinrich Himmler.

Himmler, am 7. Oktober 1900 in München als zweiter von drei Söhnen geboren, sei in einer gutbürgerlichen, katholischen Familie aufgewachsen. Er habe eine klassische humanistische Bildung durchlaufen, beherrschte Latein und Altgriechisch. „Die Erziehung zu Fleiß, Pflichtreue, Sittenreinheit und die unbedingte Einhaltung von Regeln und Verboten hat die Persönlichkeit Heinrich Himmlers stark geprägt.“ Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die damit verbundene patriotische Begeisterung in Deutschland erlebte der 14-jährige mit Begeisterung. 1918 begann er eine Offiziersausbildung. Das Ende des Ersten Weltkrieges kam für den jungen Himmler jedoch zu früh. Zu einer „Bewährung in der Schlacht“ kam es für ihn nicht. Diese Erfahrung habe er als wesentlichen Makel empfunden. Dennoh habe er sich selbst gern als Landsknecht stilisiert. Die emotionslose, kühle Welt des Militärs faszinierte ihn und prägte sein Verhalten. Um sich herum habe er eine Mauer gegen Gefühle und Begierden errichtet, sei nie feste Bindungen eingegangen, so Longerich. Bis er 1928 Margarete Siegroth heiratete. Die Ehe litt jedoch sehr unter der emotionalen Kälte und strengen Selbstbeherrschung Himmlers.

Von 1919 - 1922 absolvierte Himmler ein Landwirtschaftsstudium. Unter dem Eindruck von Inflation und Perspektivlosigkeit trat er 1923 der NSDAP bei. Nach einer unauffälligen Parteikarriere wurde Himmler 1929 zum Reichsführer der noch unbedeutenden „Schutz-Staffel“ (SS) ernannt. Diese Position habe er als Chance erkannt, aus der „zweiten Reihe“ der NSDAP hervorzutreten. Die SS konkurrierte zu dieser Zeit jedoch mit der „Sturmabteilung“ (SA) unter Ernst Röhm. Himmler habe damals Spannungen zwischen Röhm und Hitler geschickt ausgenutzt, um der SS und sich selbst eine Vorreiterrolle zu verschaffen. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 ernannte man ihn zunächst zum Polizeichef von Bayern, 1934 wurde ihm die Gestapo unterstellt. Nach der Ermordung Röhms 1934 wurde die SS zum Hauptinstrument des Terrors und der Verfolgung im dritten Reich. In seiner Funktion sei Himmler maßgeblich verantwortlich für Durchführung des Holocaust und zahlreicher weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so Longerich. Dessen war er sich selbst wohl durchaus bewusst. Am 23. Mai 1945 nahm sich Heinrich Himmler in britischer Gefangenschaft das Leben.

Innerhalb wenige Jahre habe Heinrich Himmler die SS zur einer mächtigen und gefürchteten Organisation gemacht, resümierte Prof. Longerich. Seine Stärken seien seine Beharrlichkeit, sein Durchhaltevermögen und seine emotionale Kälte gewesen. „Himmler konnte Freundschaften mit Parteigenossen beliebig schließen oder auflösen, sie bedeuteten ihm nichts.“ Ein weiterer Grund für den Aufstieg der SS, sei ihr Ruf als Elitetruppe und Karriereleiter gewesen. „Himmler hat bewusst eine elitäre Truppe geschaffen, indem er die Einhaltung strenger Aufnahmekriterien wie z.B. Körpergröße, soziale Herkunft und rassische Abstammung verlangte.“ Der Germanenkult um die SS, der auch in der Wewelsburg zelebriert wurde, sei Mittel zum Zweck gewesen. „Er sollte die Sonderstellung und das Eigenleben dieser Organisation dokumentieren. Darüber hinaus sollten die SS Männer durch Rituale stärker an die Truppe gebunden werden.“

Himmlers Führungsstil sei pedantisch gewesen. Nicht selten habe er sich in private Angelegenheiten seiner Untergebenen eingemischt, Heiraten und Geburten per Brief befohlen. „Paradoxerweise verlangte der Massenmörder Himmler von den Wachmannschaften 'Anständigkeit' und Selbstbeherrschung. Auf der anderen Seite ließ er ihnen genug Spielraum für Sadismus und Grausamkeiten.“ Nach der eingehenden Studie von Himmlers Persönlichkeit, kam Prof. Longerich zu folgendem Ergebnis: „Obschon Heinrich Himmler für millionenfachen Mord verantwortlich war, kann ich bei ihm keine gravierende Persönlichkeitsstörung feststellen. Er hatte Komplexe und Störungen wie die meisten Menschen sie heute auch noch haben.“

Auf die Frage in der anschließenden Diskussion, ob die Erforschung der Person Himmlers und des Holocaust, ihn persönlich belastet, versicherte Prof. Longerich dem Plenum, dass er immer eine gewisse Distanz zu dem Thema wahre und noch nie von Himmler, Goebbels oder ähnlichen Gestalten geträumt habe.

Heinrich Himmler und sein persönlicher Adjutant Karl Wolff im Innenhof der Wewelsburg, Mitte der Dreißiger Jahre. (Foto: Kreismuseum Wewelsburg)

Referierte über das Leben und die Taten Heinrich Himmlers: Prof. Dr. Peter Longerich, Direktor des Holocaust Research Centre am Royal Holloway College der Universität London (Foto: Kreis Paderborn)

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