Zeitgeschichte, von Jens Hecker, 08.02.11

Die Geschichte hinter den Bildern

Kunst- und Kulturgeschichte vor dem Hintergrund der NS-Machtübernahme

Die Ausstellung am Tag der Eröffnung. (Foto: Jens Hecker)

Was hat expressionistische Kunst mit einer NS-Gedenkstätte zu tun? Moritz Pfeiffer, wissenschaftlicher Volontär des Kreismuseums Wewelsburg, stellte sich diese Frage nie. Er ist der Kurator der Sonderausstellung „entartet – zerstört – rekonstruiert“, die seit dem 6. Februar auf der Wewelsburg zu sehen ist. Neben zahlreichen Werken früher deutscher Expressionisten, spielen auch Leben und Schicksal ihrer Sammler eine wichtige Rolle. Spiegeln sie doch in tragischer Weise ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte.

Die Moderne Kunst und das „Dritte Reich“, ein Kapitel für sich. Künstler, deren Werke nicht dem nationalsozialistischen Idealen entsprachen, die Kommunisten oder Juden waren, wurden verfolgt, mit Berufs- und Malverbot belegt, zur Emigration gezwungen oder ermordet. Ihre Arbeiten wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt. Unter dem Titel "Entartete Kunst" stellten die Nationalsozialisten 1937 in einer groß inszenierten Ausstellung Werke des Expressionismus, Dadaismus, der Neuen Sachlichkeit, des Surrealismus an den Pranger. Der Katalog zu dieser Veranstaltung findet sich auch unter den Exponaten, die im Rahmen der Dauerausstellung „Ideologie und Terror der SS“ seit April letzten Jahres im Kreismuseum Wewelsburg zu sehen sind. Ein kleiner Ausstellungsteil thematisiert die Rolle der Wewelsburg als Sammelstelle für gekaufte und geraubte Kunstschätze im Zweiten Weltkrieg.

Mit der Sonderausstellung „entartet – zerstört – rekonstruiert“, die seit dem 6. Februar im Bursaal der Wewelsburg präsentiert wird, geht dieser Blick auf die Kunst als Teil nationalsozialistischer Politik nun etwas weiter. Zu sehen sind Werke aus der Sammlung Cohen-Umbach-Vogts. Bilder führender deutscher Expressionisten wie etwa Paul Klee, Otto Pankok oder Paula Modersohn-Becker. Noch interessanter als die Bilder selbst erscheint jedoch die Geschichte, die sie alle verbindet. Die Geschichte ihrer Sammler.

Dr. Walter Cohen war ein in den 1920ern ein angesehener Kunstprofessor, Kunstsammler und Kunstförderer aus Düsseldorf. Besonders, aber nicht ausschließlich, hatten es ihm die im Rheinland wirkenden Expressionisten angetan. Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Margarete Umbach, trug er eine Sammlung zeitgenössischer Kunst zusammen, die Werke von Max Beckmann, Emil Nolde, Käthe Kollwitz, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Dix und Wassily Kandinsky vereinte. Künstler, deren Arbeiten von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert wurden. Als Kunst gilt nur noch, was realistisch, stimmungsvoll und „völkisch gesund“ ist. Überall im Land werden Werke moderner Künstler beschlagnahmt, werden die Museen geplündert. Man will die Menschen schützen vor der Avantgarde, weiß aber auch um ihren Wert. Für teures Geld verkaufen die Nationalsozialisten expressionistische Meisterwerke ins Ausland. Der Gewinn fliest in die Rüstungsindustrie.

Auch Cohen kann seine Sammlung nicht retten. Trotz Taufe und protestantischer Erziehung wird er als Jude aus dem Museumsdienst entlassen. Er verliert seinen Beamtenstatus und einen großen Teil seiner Rentenbezüge. Der Druck auf ihn und seine Welt wird zu groß. Ein Schlaganfall trifft ihn, zeichnet ihn schwer. Die Ehe mit der nicht-jüdischen Margarete, die ihn bei seinen Sammlungen unterstützt hat, geht kaputt. 1942 wird Cohen im Konzentrationslager Dachau ermordet. Seine Sammlung, die nach der Trennung von Margarete eingelagert wurde, fällt kurz vor Kriegsende einer militärischen Sprengung zum Opfer.

Im Todesjahr ihres Mannes heiratet Margarete Umbach erneut. Den 14 Jahre jüngeren Richard Vogts. Er hat Rechtswissenschaften studiert, musste für die Examenszulassung in die SA eintreten. Beide zahlen einen hohen Preis für ihre Ehe. Vogts wird als Mann einer Ex Ehefrau eines Juden an die Ostfront abkommandiert. Margarete leidet schwer unter der Trennung. Nach dem Kriegsende 1945 werden sie wieder vereint. Fortan widmen sie sich der Rekonstruktion und Fortführung von Walter Cohens Sammlung.

Die Sonderausstellung im Burgsaal der Wewelsburg, die noch bis zum 10. April zu sehen ist, erzählt diese Geschichte ausführlich. Der Besucher durchschreitet sie förmlich entlang der fünf unterschiedlich gestalteten Bereiche, die sich der Entwicklung der Sammlung Cohen-Umbach-Vogts und ihrer Sammler widmet. Dabei werden ebenfalls zahlreiche Aspekte der Kunst- und Kulturgeschichte vor dem Hintergrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland beleuchtet. Am Ende bleiben jedoch auch Fragen offen, die zum Nachdenken anregen. War es die Liebe zur Kunst, die Ex-Ehefrau Margarete Umbach und den SA-Mann Richard Vogts zur Rekonstruktion und Fortführung der Sammlung bewegten? Oder war es das schlechte Gewissen gegenüber dem ermordeten Walter Cohen?

Die Ausstellung am Tag der Eröffnung. (Foto: Jens Hecker)

Kein Bild sagt mehr als tausend Worte. Nicht alle der beschlagnahmten Bilder konnten rekonstruiert werden. Leerstellen wie diese weisen darauf hin. (Foto: Jens Hecker)

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